Rainer, warum ist das ein Problem, Menschen zu fotografieren? Wenn ich offen auf sie zugehe und sie nicht heimlich mit dem Tele abschieße, können sie doch jederzeit deutlich machen, dass sie das nicht wollen. Das muss man dann natürlich respektieren.
Es ist für mich ein grundsätzliches Problem, weil es ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt. Sicher gibt es Graduierungen, bei einem Fussballspiel sind sich die Spieler sicherlich bewusst, dass sie implizit einem Foto zustimmen. Der Mann mit dem Handy hat nur noch hilflos gegrinst - ist das wirklich eine Zustimmung oder nur die Resignation vor der Tatsache, dass eine Diskussion zu einem Streit führen kann, auf den er jetzt einfach keinen Bock (und keine Zeit) hat? Wieviele dieser "impliziten" Zustimmungen wären real auch erfolgt, wenn man (wie es eigentlich selbstverständlich wäre) vorher gefragt hätte, anstatt einfach vollendete Tatsachen zu schaffen?
Ich finde es viel problematischer, es so zu machen wie Silke und heimlich aus dem Hinterhalt mit dem Tele Menschen zu knipsen, die sich dessen nicht bewusst sind.
Und wo ist der Unterschied zu dem betenden Mann? Der hat doch zu 100% auch nicht gewusst, dass er da fotografiert wird. Spätestens dieses Foto könnte ich nicht machen. Das ist ein ganz intensiver Eingriff in die Intimsphäre, der Stuhl steht nicht aus Versehen so einsam und plakativ vor dem Bildnis, da möchte ein Mensch an diesem sakralen Ort mit sich und Gott alleine sein und mit einiger Sicherheit nicht beobachtet werden, geschweige denn fotografiert werden. Gerade wenn auch noch so schwierige Themen wie Glaube und Religion ins Spiel kommen, dann verhalte ich mich so zurückhaltend wie möglich.
Die Argumentation, man könne ihn ja nicht erkennen, verfängt nicht: erstens würde ich ihn auch nicht erkennen, wenn das Gesicht mit abgebildet wäre (ich kenne ihn ja nicht), zweitens würden ihn gute Bekannte oder Freunde mit erheblicher Sicherheit erkennen, dafür sind einfach viel zu viele Attribute zu sehen. Wenn Du dort kniehen würdest und ich würde Dich entsprechend religiös einschätzen und Du hättest so eine markante Tasche um dann würde ich Dich mit erheblicher Sicherheit an der Erscheinung erkennen. Mich stört fotografieren an solchen Orten so sehr, dass ich ja selbst auf meiner eigenen Hochzeit filmen und fotografieren in der Kirche verboten habe. Und dann gehe ich davon aus, dass Menschen, die ggf. noch erheblich religiöser eingestellt sind als ich (und damit muss ich in jedem Fall rechnen, wenn er da so einsam kniet), dass dieser Mensch das auch ganz sicher nicht will.
Und jeder hat halt seine eigene Meinung.
Das Grundproblem ist immer das gleiche und das können diese Foren nicht klären, wieweit stört man den Fotografierten in seiner Privatsphäre, wie verletze ich seine Würde und inwiefern ist eine nicht explizite Ablehnung (die ja auch ein erhebliches Aggressionspotential beim Betroffenen voraussetzt, wozu viele überhaupt nicht der Lage sind) eine explizite Zustimmung? Es ist ein Überrumpeln und Hoffen, dass es gut geht.
Fotografiere doch mal die Menschen in den USA am Flughafen, wenn sie beim Immigrationofficer vorsprechen. Ist doch eine interessante und plakative Szene. Würdest Du das machen?
Ich habe es auch schon ein paar mal erlebt, dass sich aus einem Foto, das ich gemacht habe, ein netter Kontakt ergeben hat.
Das hättest Du aber auch bekommen, wenn Du vorher fragst. Dann will dieser Mensch das. Aber einfach machen und implizit hinterher die fehlende Ablehnung als Einverständnis zu interpretieren geht mir zu weit.
Ich bin jetzt nicht der große Street- und Menschenfotograf aber ich kann durchaus nachvollziehen, dass es Leute gibt, die Landschaften und leere Straßen völlig öde finden und nur Menschen fotografieren wollen.
Ja, aber diese Menschen müssen ihrerseits respektieren, dass anderen Menschen eine Würde besitzen und ein Persönlichkeitsrecht. Landschaften haben das nicht.
Nicht problematisch finde ich im übrigen das letzte Foto von Michael: es ist für mich ein erheblicher Unterschied, ob ich einen bestimmten Menschen darstelle, oder ob ich eine Szene darstelle, zu der Menschen (als Masse) dazu gehören. Menschen (als Gesamtheit) gehören zu unserem täglichen Leben, aber das Individuum hat ein Recht auf seine Intimsphäre, die man stört, wenn man ihn gezielt zu einem Motiv macht.
Im Prinzip mag ich solche Diskussionen übrigens nicht besonders (hier dürfte es das erste Mal sein, dass ich überhaupt dazu schreibe), denn das ist ein sehr schwieriges Thema und mich graust es oftmals, wenn ich in Fotoforen lese, wie respektlos man damit umgeht. Die meisten machen sich da ihre eigenen "Regeln", ohne wissen zu können, wie der Einzelfall aussieht. Ich tue mir jedenfalls sehr sehr schwer damit, Menschen als Motiv abzulichten ohne das Einverständnis vorher eingeholt zu haben.