6. Tag – Montag, 04.07.
Beim Frühstück, das es heute wieder ab 7 Uhr gibt, beeile ich mich etwas, denn um halb neun muss ich am Hauptbahnhof sein, es steht ein Tagesausflug «aufs Land» an.
Wie immer bei Städtetrips habe ich bei der Vorbereitung geschaut, welche Möglichkeiten es für Tagesausflüge aus der Stadt raus gibt. Dabei ist mir Hanko/Hangö aufgefallen. Das 9000 Einwohner Städtchen liegt 127 km südwestlich von Helsinki, ist mehrheitlich schwedischsprachig und gilt als
die finnische Sommerstadt. Schon zur Zarenzeit und durchgehend bis heute war/ist der Ort ein Seebad, dementsprechend gibt es viele alte Holzvillen aus der Zeit zwischen 1880 und 1940. Es gibt mehrere Sandstrände im Wechsel mit Felsküste, man kann zum südlichsten Punkt Finnlands wandern und einen Schiffsausflug zum Bengtskär Leuchtturm in den Schären vor Hanko machen. Diese beiden Aktivitäten benötigen allerdings einiges an Zeit, scheiden daher bei einem Tagesauflug leider aus. Bei der Touristinfo habe ich verschiedene Informationsbroschüren bestellt und kostenlos zugeschickt bekommen. Alles ist superschön gestaltet und zusammen mit den Fotos und Beschreibungen im Reiseführer und Internet war mir klar, dass ich von diesem Ort begeistert sein würde.
Lange hat mich allerdings zögern lassen, dass obwohl Hanko eigentlich an das Eisenbahnnetz angeschlossen ist, unterwegs ein Wechsel von Bahn zu Schienenersatzverkehr stattfindet (schon seit Jahren) und mit Schienenersatzverkehr habe ich von zuhause und auch einem Ausflug in die Umgebung von Stockholm sehr schlechte Erfahrung gemacht. Oft ist nicht klar, wo genau der Bus als Zugersatz abfährt, oft hat Zug oder Bus Verspätung und es wird nicht gegenseitig gewartet. Da ich Hanko aber unbedingt besuchen möchte, entscheide ich mich dann schließlich das Risiko einzugehen.
Am liebsten hätte ich spontan während meines Helsinki Aufenthalts das Zugticket gebucht, um den Ausflug an einem Tag mit schönem Wetter machen zu können, die Ticketpreise bei der finnischen Bahn steigen jedoch stark an, je näher der Abfahrtstermin kommt. So bin ich dann nochmal ein Risiko eingegangen und habe das Ticket ein paar Wochen vorher gebucht, in der Hoffnung nicht gerade einen Regentag zu erwischen.
Was das Wetter angeht, habe ich auf jeden Fall schon mal Glück gehabt, auch heute scheint wieder die Sonne. Gestern Abend habe ich nochmal im Internet nachgeschaut, hätte ich das Ticket erst gestern gekauft, hätte es das doppelte vom von mir bezahlten Preis, für finnische Verhältnisse günstige EUR 15,80 (Hin- und Rückfahrtkarte), gekostet.
Der Zug fährt pünktlich um 8.36 Uhr am Hauptbahnhof ab, nach einer Stunde Fahrt durch leicht hügelige Landschaft, überwiegend landwirtschaftlich genutzt, erreicht er den Ort Karjaa, hier ist nun der Wechsel auf den Bus nötig. Entgegen meinen Befürchtungen läuft alles problemlos, ein Großteil der Leute aus dem Zug wechselt auf den Bus, so dass ich nur den anderen hinterher gehen muss, außerdem ist der Weg zur Bushaltestelle ausgeschildert.
Sogar zwei Busse warten schon, die aber nicht voll werden, ich habe einen Zweier-Sitz während der Fahrt, die eine Stunde dauert, für mich alleine. Die Landschaft hat sich geändert, wir fahren küstennah (aber ohne Ausblicke aufs Meer) hauptsächlich durch Wald, es erinnert mich sehr an Teile von Westkanada, von der geteerten Hauptstrasse gehen immer wieder geschotterte Strassen in den Wald ab, die ins Nichts zu führen scheinen, am Beginn stehen aber immer ein oder mehrere Briefkästen, irgendwo in der Ferne werden also Wohnhäuser stehen.
Der Bus hält mehrmals, manchmal wartet ein Fahrgast an einer Haltestelle mitten im Nichts, ein größerer Ort ist Ekenäs/Tammisaari mit mehreren Haltestellen.
Gegen 10.30 Uhr erreicht der Bus das Bahnhofsgelände von Hanko, der Endstation. Ca. eine Viertelstunde dauert der Spaziergang von hier ins Zentrum des Örtchens.
Mein erstes Ziel ist die Sandbucht im Zentrum und schon jetzt bin ich begeistert und froh, den Ausflug angetreten zu haben. Es ist einfach herrlich hier, der Strand, die Felsen, die Ruhe und Gelassenheit der Leute, die ersten Holzvillen, die ich hier schon sehen kann.
Nicht weit vom Strand entfernt steht der Wasserturm, eines der Wahrzeichen des Ortes. Er wurde 1943 auf dem höchsten Hügel des Orts errichtet, nachdem der alte Wasserturm 1941 von den sowjetischen Truppen bei ihrem Abzug nach dem «Winterkrieg» zerstört worden war.
Das Schöne am Turm ist, die offene Plattform ganz oben ist für Touristen geöffnet. Ganz klar, dass ich da hinauf möchte. Pünktlich zur Öffnung um 11 Uhr bin ich am Turm. Man tritt in einen Aufzug und fährt nach oben. Dort werde ich von einer sehr netten Dame empfangen, bei der ich den Eintritt von EUR 5 entrichte und die mir dann auch gleich einiges zu Hanko erklärt und zeigt. Die Aussicht ist überwältigend, nicht jeder Blick von einem (Aussichts)turm ist lohnenswert, der hier aber definitiv. Weder Glas noch Gitter stören den 360° Blick, auch einige kostenlos nutzbare Ferngläser sind installiert (damit kann ich in der Ferne mehrere Leuchttürme sehen). Die Führerin gibt mir noch einige Tipps zum Mittagessen und ein Spazierziel für den Nachmittag, dann kommen andere Gäste, denen sie sich zuwendet und ich kann den Blick nochmal in Ruhe genießen.
Wieder am Boden gehe ich durch den Ort in Richtung Hafen und der dortigen Felsbucht.
Wie von der Dame vom Wasserturm empfohlen, gibt es rund um den Hafen eine Vielzahl von Restaurants, ich entscheide mich für das «Stranden», das einen «Lunch» anbietet. Draußen sind alle Schattenplätze belegt, aber im Innenraum, der hier ausnahmsweise mal klimatisiert ist, ist noch genug Platz. Der «Lunch» stellt sich als All-you-can-Eat Buffet heraus, inklusive Wasser, Säfte und Kaffee kostet das ganze nur erstaunliche EUR 15. Wunderbar, heute kann ich mich mittags mal satt essen, es gibt verschiedene Salate, Brot, Hühnchen in Mango Soße, panierter Fisch, Kartoffeln und Reis als Beilagen, alles sehr lecker. Sogar eine Mousse-au-Chocolat steht als Nachtisch bereit, darauf verzichtete ich allerdings, ich möchte ja später sicherlich wieder eine Kuchenpause machen.
Nach dem Essen setze ich meinen Orts- und Küstenspaziergang fort. Vorbei an einigen alten Villen und immer wieder Blicken aufs Wasser erreiche ich das Hanko Casino, ein Jugendstil Gebäude aus dem Jahr 1910. Davor sind noch die ziemlich vertrockneten Reste des Mittsommerfestes zu sehen.
Zwischen der Sandbucht vor dem Casino und der darauffolgenden Bucht erstreckt sich eine felsige Landzunge, über die ein Wanderweg bzw. eher Spazierweg, genannt «Liebespfad» führt. Wie ist das schön hier! Es geht über Granitfelsen, durch lichten Pinienwald, mal auf Holzstegen, mal muss man den Weg über die Felsen ein bisschen suchen, Aussicht übers glitzernde Wasser gibt es fast immer. Und es ist wunderbar ruhig hier, nur wenige andere Leute nutzen diesen Weg. Zwischendrin setze ich mich auf einen Felsen und genieße eine ganze Zeit lang den Aus- und Anblick.
Am Ende des Pfads geht es noch ein ebenes Stückchen durch Wald, bis ich den nächsten Strand erreiche.
Und an diesem Strand ist wohl das Zentrum der Badeurlauber. Im Wasser ist eine riesige Hüpfburg mit Rutschen, Trampolins usw. verankert, von so etwas habe ich als Kind nicht mal geträumt, damals war man schon mit einer einzigen großen Rutsche zufrieden. Im Wald hinter dem Strand gibt es einen Spielplatz, mehrere Tennisplätze (auf Stelzen, umgeben von Glaswänden), Minigolf und ein Kiosk/Restaurant. Dementsprechend knubbeln sich hier auch recht viele Urlauber, dennoch bin ich positiv erstaunt, dass es im Vergleich z.B. zur deutschen Ostsee (die ich ja 2018 von Hamburg aus unter gleichen Bedingungen erlebt habe – Hauptsaison, bestes Wetter, unter der Woche) nicht überfüllt ist. Auch Parkplätze sind noch frei.
Ich gehe weiter, an der Straße parallel zum Wasser stehen auch hier wieder einige wunderschöne Villen.
An die «Hüpfburg» Sandbucht schließt sich eine weitere an, wesentlicher länger, der Sand ist fast bis zum Wasser von Gras bewachsen. Ein Fuß-und Fahrradweg läuft parallel zum Wasser unter zumindest ein bisschen schattenspendenden Bäumen, dahinter stehen wieder einige alte Villen, da fange ich doch das Träumen an, in so einer Villa eine Woche verbringen, morgens schon eine erste Runde im Meer schwimmen, durch Hanko bummeln, dann auf der Terrasse vor dem Haus Kaffee trinken, nochmal Schwimmen. Ach ja, dabei weiß ich doch genau, dass ich das nicht mal einen einzigen Tag aushalten würde und den ganzen Tag unterwegs wäre.
Auf der kleinen Landzunge am Ende dieser Sandbucht steht ein hübsches altes Holzhaus, in dem sich ein Restaurant/Café befindet. Dieses besteht schon sehr lange und ist ziemlich bekannt, 1927, zur Zeit des absoluten Alkoholverbots in Finnland, kaufte Marschall Mannerheim (dessen Statue ich gestern in Helsinki vor dem Kiasma angeschaut habe), der in Hanko ein Ferienhaus hatte, das Café und nannte es «Neljän Tuulen Tupa» (= "Haus der Vier Winde"). Mit dem Alkoholverbot nahm man es nicht so genau.
Leider habe ich vom Café kein Foto gemacht, nur vom ebenso hübschen Holzhaus auf der benachbarten Landzunge und von der nächsten Sandbucht.
Ich finde auf der Terrasse gerade noch ein Einzelplätzchen im Schatten (drinnen ist es zwar wieder sehr nett eingerichtet, aber mal wieder viel zu warm) mit direktem Blick aufs Meer, aus der Eistruhe suche ich mir ein vermeintliches Vanille-Schokoeis in der Waffel (ähnlich wie Cornetto) aus, dieses entpuppt sich aber als Vanille-Lakritzeis. Schmeckt aber gar nicht mal schlecht, obwohl ich kein Lakritzfan bin (EUR 7,50 zusammen mit einem Wasser).
Nach der Eispause mache ich mich auf den Rückweg Richtung Zentrum von Hanko. Die Granitfelsen lohnen einen Blick von nahem, erstaunlich, was darauf so alles wächst. Ich umrunde den Jachthafen, das halbrunde Gebäude des Segelvereins stammt aus dem Jahr 1938.
In einem ehemaligen Lagerhaus am Hafen sind Dekogeschäfte und ein Café eingerichtet, ich stöbere ein bisschen durch die z.T. recht hübschen Sachen und mache dann nochmal eine Pause bei einem Cappuccino und einem Rhabarberblätterteiggebäck.
Dann muss ich mich so langsam auf den Weg zurück zum Bahnhof machen. In der Fußgängerzone schaue ich noch in einige Geschäfte hinein, kaufe aber nur im Supermarkt was, ein Sandwich fürs Abendessen später auf der Rückfahrt.
Um 17.20 Uhr fährt der Bus pünktlich in Hanko ab. Unterwegs hält er wesentlich öfter als auf dem Hinweg und wird richtig voll, viele haben nun Feierabend und fahren mit dem Bus nach Hause. In Karjaa hat der Zug nach Helsinki etwas Verspätung. Auf der Zugfahrt denke ich nochmal über den schönen Tag nach, ich bin wirklich froh, dass ich diesen Ausflug gemacht habe und sollte ich mal eine Mietautorunde durch Südfinnland drehen, wird Hanko für mindestens zwei Nächte ein Ziel sein.
In Helsinki wechsle ich dann vom Zug in die Tram und bin nach einem kurzen Supermarktstopp gegen 19.45 Uhr wieder in meiner Unterkunft.
Wetter: sonnig, gegen Nachmittag Schleierwolken, ca. 28°C