19. Juni Der Tag F Wir haben auch ohne Ventilator ganz entspannt geschlafen, ganz ohne Hitzewellen. Nach einem gemütlichen Frühstück (allein, die Familie muss arbeiten) können wir uns gestärkt an die schwere Arbeit wagen. Packen! Zu Colins Gepäck ist im Laufe der Monate einiges dazu gekommen, unter anderem: sieben Paar Schuhe, Skihelm und -hose, zwei Anzüge, ein Stativ, ein Schlafsack,… Wir Eltern haben zwar sparsam eingepackt, doch als wir den aufgetürmten Berg in Colins Zimmer so anschauen – passt das alles wirklich in die zwei Koffer und die große Reisetasche?
Erstmal aufräumen und ausmisten; so gar nicht Kerlies Ding. Zwei kaputte Jeans und ein Paar abgewrackte Sneakers können weg. Zum Vorschein kommt außerdem das Geschenk von Colins Englischlehrer an seine Eltern: ein T-Shirt des Abschlussjahrgangs "Respect your Elders" (leider hat er keine zwei mehr bekommen können) und einen Brief mit Lobeshymnen auf unseren Sohn.
Wir verpacken die Winterklamotten in Vakuumbeuteln, stopfen Socken in die Schuhe und rollen T-Shirts. Ohje, die Gepäckstücke sehen schon gut gefüllt aus.
Gut, dass BA eine großzügige Gewichtsbeschränkung beim Handgepäck hat. So können wir Eltern unsere Bordtrolleys noch voll packen.
Auch Packen schlaucht – Verschnaufspause willkommen
Mittlerweile ist Colins Gastmutter nach Hause gekommen und wir können zum allerwichtigsten Termin des ganzen Jahres aufbrechen.
Dazu fährt Josie mit Colin und mir hier hin:
Nachdem Junior
- am 19. Dezember mit bürokratischem Aufwand und nach einem kleinen Online-Test den Utah-Lernführerschein erhalten hat
- einen Fahrschulkurs absolviert und dort eine Fahrprüfung bestanden hat
- in den letzten sechs Monaten 40 Stunden in Begleitung selbst gefahren ist (100% davon in den letzten beiden Wochen)
kann er heute seinen Führerschein bekommen.
Ein sehr freundlicher Empfangsofficer (in Uniform) fragt nach unserem Begehr, prüft die Unterlagen und vergibt die Wartenummer. Wir müssen nicht lange warten. Kurzer Sehtest, ein paar Unterschriften der Gastmutter, einmal Drucken und da ist er:
Zumindest der vorläufige Führerschein, der im Scheckkarten-Format wird innerhalb der nächsten Wochen zugeschickt. Josie wird ihn dann per Eilbrief nach Deutschland weiter schicken.
Na, das hat ja wunderbar reibungslos geklappt! Wie es weiter geht, seht später im Exkurs "Kerlies Führerschein".
Josie möchte mir unbedingt noch Cabela’s zeigen. Das ist ein großer Laden für all das Outdoor-Gedöns. Was sie mir hauptsächlich zeigen möchte, ist die Ausstellung mit den ausgestopften Tieren der Gegend.
Neben Reh, Hirsch, Bär und Co gibt es noch einen Teich mit lebendigen Fischen. Ansonsten hat der Laden eben alles Mögliche für Camping, Wandern, Fischen und Jagen. Dazu gehört natürlich auch eine –für uns große- Waffenabteilung.
Die Gastmutter spricht den Verkäufer an: sie hätte hier einen Austauschschüler aus Deutschland, ob der wohl mal eine Pistole halten könne, er hätte sonst nie wieder Gelegenheit dazu. Klar kann er!
Der Verkäufer ist ganz erstaunt über unsere Waffengesetze, schließlich kämen alle guten Waffen aus Deutschland: die Walther, die Sig Sauer, Heckler & Koch… Der gute Mann ist ganz in seinem Element; referiert und zeigt seine Schätze.
Die Kerlie dann auch mal halten darf. Darunter auch ein sehr gefährlich aussehendes Schnellfeuer-Was-auch-immer
Wir lernen, dass es doch ein paar Bedingungen gibt, um in Utah Waffen kaufen zu können. Außerdem dürfen wir die "Bibliothek" besichtigen, sozusagen der Second-Hand-Laden. Dort sehen wir historische Revolver und Gewehre. Winnetous Silberbüchse lässt grüßen.
Wir stöbern noch ein wenig im Geschäft herum. Interessant, was es so alles an "Trailfood" gibt. Josie findet den Laden teuer; wenn ich mir die Wanderschuh-Preise so anschaue, ist es jedoch günstiger als bei uns.
In den Gängen treffen wir einen Schulkollegen von Colin, der ist in der Schulband. Okay, ich stelle mir das vor wie unsere Skifflegruppe am Gymnasium damals. Weit gefehlt, auch das ist natürlich eine Riesentruppe.
Colin zeigt uns Bilder vom Footballspiel der Davis High.
Marching Band & Tanzgruppe
in der Halbzeitpause Korrektur seitens Colin - sind keine Tänzer sondern "Color Guards" = Fahnenschwenker
Den Rest des Nachmittages widmen wir uns wieder dem Pack-Puzzle, für den Abend haben wir eine Einladung zum "evening bread" .
Beim Skypen im Vorfeld erzählten uns die Gasteltern von einer deutschen Familie in der Nachbarschaft. Ein Sohn, jetzt Anfang zwanzig, war auch zum Austausch dort gewesen und jetzt wohnt die Familie in Farmington. Es gäbe also Leute, die Deutsch und über seine Heimat mit Colin reden könnten.
Sie kamen dann auch in Kontakt, Colin war kurz vorher zur Hochzeit des Sohnes eingeladen, die Mutter hatte einen Narren an ihn gefressen und natürlich wollten sie nun uns kennenlernen. Wir hatten uns schon gewundert, wie Leute denn so einfach nach Utah ziehen, wo ihr Sohn zum Schüleraustausch war. Einfache Erklärung: es sind Mormonen.
Wir werden sehr herzlich und locker begrüßt. Entgegen der Ankündigung gibt es kein deutsches Abendbrot; eher ein Buffet mit Nudelgerichten, Salat, Käsetorte mit Erdbeeren und zu trinken selbst gemachte Zitronenlimonade. Wir sitzen im Garten und plaudern im munteren Mischmasch aus Deutsch und Englisch über alles Mögliche. Colins Gasteltern wirken ungewohnt zurückhaltend, richtig respektvoll. Im Laufe des Abends bekommen wir auch eine Ahnung warum. Der Herr des Hauses ist ein ziemlich hohes Tier der Kirche. Spaßeshalber habe ich ihn daheim gegoogelt, der hat sogar einen Wikipedia-Eintrag.
Unsere Reisen sind Thema. Wir werden gefragt, warum wir nicht nach Utah ziehen, so oft wie wir hier Urlaub machen.
Wäre tatsächlich eine Überlegung wert, wenn es nicht einige Wenns-und-Abers gäbe. Die Dame des Hauses und Kerlies Gastmutter sind sich jedenfalls einig, dass sie nirgendwo lieber als dort in Farmington wohnen wollen. Wobei erstere wahrscheinlich bald wieder umziehen muss, wenn ihr Mann versetzt wird. Witzigerweise war ihr oben erwähnter Sohn auf Mission im Polynesian Culture Center auf Hawai'i. Und eine der Töchter wohnt im weiteren Umkreis von Hannover.
Neugierig war ich auch, wie Deutsche denn zum Mormonentum kommen. Okay, die LDS-Kirche hier habe ich schon öfter gesehen, trotzdem erschien mir diese Religion doch mehr eine amerikanische Sache zu sein. Tatsächlich gab es schon ab 1842, zwölf Jahre nach Gründung der Kirche, Gemeinschaften von Mormonen in Deutschland. Die Religion kam mit Auswandern auf Heimatbesuch über den Teich, erste Missionare sozusagen. Viele der ersten Gläubigen damals sind später nach Utah ausgewandert. Die Familie unserer Gastgeberin ist schon seit deren Großeltern mormonisch.
Es war jedenfalls ein sehr interessanter und entspannter Abend, ganz ohne Missionierungsversuch. Während die anderen relativ früh zu Bett gehen, vernichten Kersten und ich noch unsere letzten zwei Dosen Schlummertrunk