DO, 12.6.2014: Auf Omas Spuren in die MasurenHeute ist wieder ein Ortswechsel angesagt, nach den vielen Städten wird es nun ländlich und es gibt viel Wasser zu sehen. Es geht in die Masuren.
Die Straße Nr. 7 ist wieder eine Mischung aus normaler Landstraße und Kraftfahrstraße. Es geht in ähnlichem Tempo vorwärts wie gestern, aber es wird viel schneller ländlich als gestern beim Verlassen von Krakau. Das heißt, die Straßen werden leerer und schmaler.
Etwa eine Stunde hinter Warschau sehe ich das erste Storchennest. Ich bin so baff, dass ich gar nicht daran denke für ein Foto zu halten, zumal das auch gar nicht möglich gewesen wäre an der Stelle. Aber beim zweiten Storchennest bin ich auf Zack und kann auch tatsächlich halten.
Mein erster Halt heute ist Neidenburg, das heute Nidzica heißt. Denn hier in der Nähe, in Gregersdorf, das heute Grzegorzky heißt, ist vor etwa 100 Jahren meine Oma aufgewachsen. Bei der Anfahrt nach Gregersdorf höre ich in mich hinein, aber es klingelt nichts so wirklich, obwohl ich doch hier eigentlich vielleicht sogar noch Verwandtschaft habe, denn was aus den vielen Geschwistern der Oma geworden ist - außer Tante Mimi kenne ich niemanden der insgesamt noch 11 Geschwister - weiß ich nicht. Sind hier wirklich alle Deutschen vertrieben worden? Die Oma ging irgendwann noch weit vor dem Krieg nach Dortmund, wo Tante Mimi schon lebte, lernte als OP-Schwester meinen Opa kennen ("ach er hat nur so wenig Äther gebraucht für die Narkose, er trinkt bestimmt nicht") und verkaufte fortan Puddingplätzchen in dessen Bäckerei.
Die kommenden Bilder sind in Gregersdorf in den 20er Jahren entstanden und zeigen sie, teilweise mit ihren Geschwistern.
Und das ist also der Teich, in dem sie damals gebadet hat und die Allee nach Neidenburg. Und übrigens, auch hier wohnt ein Storch.Und die wenigen Menschen, die ich in dem kleinen Dorf sehe, wundern sich bestimmt, dass ein Auto mit deutschem Kennzeichen hält und die Fahrerin etwas selbstvergessen um den Feuerlöschteich spaziert und Fotos knipst.
Ich vergesse ganz, dass ich eigentlich auch noch in Salusken halten wollte, wo die Oma geboren wurde, bevor die Familie nach Gregersdorf umsiedelte.
Ob die Oma die Heimat vermisst hat? Ich weiß es nicht. Sie hat nie viel davon erzählt und gehört ja auch nicht zu den Vertriebenen, da sie ja schon Jahre vor dem Krieg höchst freiwillig die Heimat verlassen hat, konnte aber ja auch viele Jahre nicht mehr hinfahren. Nun kann ich sie nicht mehr fragen, schon vor mehr als 10 Jahren starb sie mit weit über 90 Jahren.
Mich hat es auch nach dem Abi weggetrieben aus der provinziell wirkenden Heimat, mittlerweile würde ich eine Gelegenheit wieder in meinem schönen Norden zu leben, ernsthaft in Betracht ziehen. Es geht nichts über Vertrautes und das Erinnertwerden an die eigenen Wurzeln, aber das ist eine Erkenntnis, die mir sicher nicht gekommen wäre, hätte ich nicht etwa die Hälfte meines Lebens in Orten verbracht, mit denen mich kaum etwas verbindet.
Ich fahre weiter und beschließe in Olsztyn Mittag zu machen. Die kleine Universitätsstadt ist friedlich und nett, es gibt herrliche Kartoffelpuffer auf Salat mit Lachs für einen Spottpreis, und das nur noch 134 km von Kaliningrad entfernt. Wahnsinn, wenn ich wollte, könnte ich in zwei Stunden in Russland sein. OK, "Königsberg" klingt natürlich nicht ganz so weit weg wie "Kaliningrad".
Ich will aber nicht, obwohl ich auf der Weiterfahrt sehr darüber nachdenke, den noch verbleibenden Abschnitt von nur etwa 20 km noch eben zu fahren. Aber wer weiß, was es dort zu sehen gibt, google maps zeigt keine ordentliche Straße an und da das Wetter nach einem etwas gemächlichen Start doch noch strahlend geworden ist, möchte ich Nikolaiken gerne nicht so spät erreichen.
Hier ist es wunderschön. Ewig weit geht es über Alleen durch saftig grünes, etwas welliges Land. Immer wieder mal blitzt ein See, ein Teich, ein Sumpf im Licht. Die Storchennester haben beim Mitzählen nun locker schon ein Dutzend erreicht, und auch auf den Wiesen staksen pflichtbewusste Eltern herum und suchen den saftigsten Frosch für die Kleinen auf dem Schornstein. Was haben die eigentlich gemacht, als man Nester noch nicht auf Schornsteinen und Strommasten bauen konnte?
Ich fahre aber noch den Umweg über Mauerwald um die Bunkeranlage anzusehen. Irgendwie wirkt das merkwürdig, fast als wäre es kein Mahnmal, sondern ein heimliches Ehrenmal. Militaristisches Spielzeug wird verkauft, so richtig schlau werde ich hieraus nicht. Hier war das Hauptquartier bei der Planung des Feldzuges des deutschen Heeres gegen die Russen, aber es ist auch der Ort, an den man zumindest denken muss, wenn es um die Suche nach dem Bernsteinzimmer geht.
Es ist nass und kalt und unheimlich in der Bunkeranlage, sodass ich froh bin, als ich wieder raus bin.
Auf dem weiteren Weg nach Nikolaiken komme ich eher durch Zufall auch noch an der Wolfsschanze vorbei. Und wenn ich schon mal da bin, sehe ich mir die Anlage auch noch an. Es gibt nicht allzu viel zu sehen, eben 70 Jahre alte mittlerweile bemooste Ruinen. Aber interessant ist es schon zu sehen, welche Bastionen sich der Wahnsinnige geschaffen hat, mit Kino und Hotel für hohe Offiziere. Und dieses ist auch der Ort, an dem Stauffenbergs Attentat auf Hitler leider gescheitert ist.
Und die Polen scheinen ein irgendwie entspanntes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit zu haben. Zwar weht die polnische Flagge über allem, aber man kann nostalgisch verklärend sich zu etwas weiter entfernten Stellen der Anlage stilecht mit Militärfahrzeugen fahren lassen.
Das Licht ist inzwischen spätnachmittäglich golden geworden. Noch etwa eine Stunde Fahrt bis Nikolaiken liegt vor mir. Weiter geht es über Alleen, die zum Glück nicht alle Kopfsteinpflaster haben.
Das Hotel Santa Monica ist offenbar ganz neu renoviert. Alles ist sauber und gut in Schuss, alles riecht noch neu. Ansonsten ist das Hotel wohl eher ein Familienhotel, wird offenbar auch viel von Reisegruppen genutzt. Es ist völlig OK, wenn man mit der durch Gruppen entstehenden stoßartigen Überfüllung und dem damit verbundenen Lärmpegel leben kann und mit 45 Euro pro Nacht sehr günstig. Es liegt super zentral, sodass man zu Fuß mit nur ein paar Schritten essen gehen und zum Bootsanleger gehen kann. Ich bin zufrieden.
Nikolaiken ist ganz nett, aber unspektakulär. Es liegt sehr schön an einem der großen masurischen Seen. Nun kommt auch Idefix zum Einsatz. Leider entdecken wir keinen Weg, auf dem wir uns noch so richtig austoben können, aber wir rollern ein bisschen hin und her durch die Kleinstadt und machen ein paar Bilder. Ich hoffe, das Wetter hält sich morgen, denn ich will mit dem Schiff fahren. Gleich muss ich aber unbedingt auch mal Schlechtwetteralternativen recherchieren, leider soll es nämlich morgen zumindest am Nachmittag regnen. Vielleicht gibt es ja in der Nähe ein nettes Wellnessbad...