Autor Thema: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014  (Gelesen 41550 mal)

Flicka

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #45 am: 26. Juni 2014, 21:38:24 »
Die Reise und der Reisebericht gefallen mir sehr gut!

Was du bisher beschrieben und erlebt hast, wirkt auf mich angenehm unaufgeregt. Ich glaube, ich könnte mich dort im Urlaub auch sehr wohlfühlen.

Den Eindruck, den du in Auschwitz hattest, kann ich nach meinem Besuch in Hiroshima gut nachvollziehen. Auch wenn das dämlich klingt: Ich hatte bis ich dort war, immer nur Schwarz-Weiß-Bilder von Trümmern und leidenden Menschen im Kopf. Dass dort fröhliche Menschen unter blauem Himmel an Palmen und Blumenbeeten vorbeiradelten, fand ich erst mal ziemlich befremdlich.

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #46 am: 27. Juni 2014, 11:20:05 »
DO, 12.6.2014: Auf Omas Spuren in die Masuren

Heute ist wieder ein Ortswechsel angesagt, nach den vielen Städten wird es nun ländlich und es gibt viel Wasser zu sehen. Es geht in die Masuren.

Die Straße Nr. 7 ist wieder eine Mischung aus normaler Landstraße und Kraftfahrstraße. Es geht in ähnlichem Tempo vorwärts wie gestern, aber es wird viel schneller ländlich als gestern beim Verlassen von Krakau. Das heißt, die Straßen werden leerer und schmaler.

Etwa eine Stunde hinter Warschau sehe ich das erste Storchennest. Ich bin so baff, dass ich gar nicht daran denke für ein Foto zu halten, zumal das auch gar nicht möglich gewesen wäre an der Stelle. Aber beim zweiten Storchennest bin ich auf Zack und kann auch tatsächlich halten.



Mein erster Halt heute ist Neidenburg, das heute Nidzica heißt. Denn hier in der Nähe, in Gregersdorf, das heute Grzegorzky heißt, ist vor etwa 100 Jahren meine Oma aufgewachsen. Bei der Anfahrt nach Gregersdorf höre ich in mich hinein, aber es klingelt nichts so wirklich, obwohl ich doch hier eigentlich vielleicht sogar noch Verwandtschaft habe, denn was aus den vielen Geschwistern der Oma geworden ist - außer Tante Mimi kenne ich niemanden der insgesamt noch 11 Geschwister - weiß ich nicht. Sind hier wirklich alle Deutschen vertrieben worden? Die Oma ging irgendwann noch weit vor dem Krieg nach Dortmund, wo Tante Mimi schon lebte, lernte als OP-Schwester meinen Opa kennen ("ach er hat nur so wenig Äther gebraucht für die Narkose, er trinkt bestimmt nicht") und verkaufte fortan Puddingplätzchen in dessen Bäckerei.

Die kommenden Bilder sind in Gregersdorf in den 20er Jahren entstanden und zeigen sie, teilweise mit ihren Geschwistern.





 

Und das ist also der Teich, in dem sie damals gebadet hat und die Allee nach Neidenburg. Und übrigens, auch hier wohnt ein Storch.Und die wenigen Menschen, die ich in dem kleinen Dorf sehe, wundern sich bestimmt, dass ein Auto mit deutschem Kennzeichen hält und die Fahrerin etwas selbstvergessen um den Feuerlöschteich spaziert und Fotos knipst.




 




Ich vergesse ganz, dass ich eigentlich auch noch in Salusken halten wollte, wo die Oma geboren wurde, bevor die Familie nach Gregersdorf umsiedelte.

Ob die Oma die Heimat vermisst hat? Ich weiß es nicht. Sie hat nie viel davon erzählt und gehört ja auch nicht zu den Vertriebenen, da sie ja schon Jahre vor dem Krieg höchst freiwillig die Heimat verlassen hat, konnte aber ja auch viele Jahre nicht mehr hinfahren. Nun kann ich sie nicht mehr fragen, schon vor mehr als 10 Jahren starb sie mit weit über 90 Jahren.

Mich hat es auch nach dem Abi weggetrieben aus der provinziell wirkenden Heimat, mittlerweile würde ich eine Gelegenheit wieder in meinem schönen Norden zu leben, ernsthaft in Betracht ziehen. Es geht nichts über Vertrautes und das Erinnertwerden an die eigenen Wurzeln, aber das ist eine Erkenntnis, die mir sicher nicht gekommen wäre, hätte ich nicht etwa die Hälfte meines Lebens in Orten verbracht, mit denen mich kaum etwas verbindet.

Ich fahre weiter und beschließe in Olsztyn Mittag zu machen. Die kleine Universitätsstadt ist friedlich und nett, es gibt herrliche Kartoffelpuffer auf Salat mit Lachs für einen Spottpreis, und das nur noch 134 km von Kaliningrad entfernt. Wahnsinn, wenn ich wollte, könnte ich in zwei Stunden in Russland sein. OK, "Königsberg" klingt natürlich nicht ganz so weit weg wie "Kaliningrad".

Ich will aber nicht, obwohl ich auf der Weiterfahrt sehr darüber nachdenke, den noch verbleibenden Abschnitt von nur etwa 20 km noch eben zu fahren. Aber wer weiß, was es dort zu sehen gibt, google maps zeigt keine ordentliche Straße an und da das Wetter nach einem etwas gemächlichen Start doch noch strahlend geworden ist, möchte ich Nikolaiken gerne nicht so spät erreichen.

Hier ist es wunderschön. Ewig weit geht es über Alleen durch saftig grünes, etwas welliges Land. Immer wieder mal blitzt ein See, ein Teich, ein Sumpf im Licht. Die Storchennester haben beim Mitzählen nun locker schon ein Dutzend erreicht, und auch auf den Wiesen staksen pflichtbewusste Eltern herum und suchen den saftigsten Frosch für die Kleinen auf dem Schornstein. Was haben die eigentlich gemacht, als man Nester noch nicht auf Schornsteinen und Strommasten bauen konnte?









   
 
Ich fahre aber noch den Umweg über Mauerwald um die Bunkeranlage anzusehen. Irgendwie wirkt das merkwürdig, fast als wäre es kein Mahnmal, sondern ein heimliches Ehrenmal. Militaristisches Spielzeug wird verkauft, so richtig schlau werde ich hieraus nicht. Hier war das Hauptquartier bei der Planung des Feldzuges des deutschen Heeres gegen die Russen, aber es ist auch der Ort, an den man zumindest denken muss, wenn es um die Suche nach dem Bernsteinzimmer geht.

Es ist nass und kalt und unheimlich in der Bunkeranlage, sodass ich froh bin, als ich wieder raus bin.


 


Auf dem weiteren Weg nach Nikolaiken komme ich eher durch Zufall auch noch an der Wolfsschanze vorbei. Und wenn ich schon mal da bin, sehe ich mir die Anlage auch noch an. Es gibt nicht allzu viel zu sehen, eben 70 Jahre alte mittlerweile bemooste Ruinen. Aber interessant ist es schon zu sehen, welche Bastionen sich der Wahnsinnige geschaffen hat, mit Kino und Hotel für hohe Offiziere. Und dieses ist auch der Ort, an dem Stauffenbergs Attentat auf Hitler leider gescheitert ist.

Und die Polen scheinen ein irgendwie entspanntes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit zu haben. Zwar weht die polnische Flagge über allem, aber man kann nostalgisch verklärend sich zu etwas weiter entfernten Stellen der Anlage stilecht mit Militärfahrzeugen fahren lassen.



 



Das Licht ist inzwischen spätnachmittäglich golden geworden. Noch etwa eine Stunde Fahrt bis Nikolaiken liegt vor mir. Weiter geht es über Alleen, die zum Glück nicht alle Kopfsteinpflaster haben.

Das Hotel Santa Monica ist offenbar ganz neu renoviert. Alles ist sauber und gut in Schuss, alles riecht noch neu. Ansonsten ist das Hotel wohl eher ein Familienhotel, wird offenbar auch viel von Reisegruppen genutzt. Es ist völlig OK, wenn man mit der durch Gruppen entstehenden stoßartigen Überfüllung und dem damit verbundenen Lärmpegel leben kann und mit 45 Euro pro Nacht sehr günstig. Es liegt super zentral, sodass man zu Fuß mit nur ein paar Schritten essen gehen und zum Bootsanleger gehen kann. Ich bin zufrieden.

Nikolaiken ist ganz nett, aber unspektakulär. Es liegt sehr schön an einem der großen masurischen Seen. Nun kommt auch Idefix zum Einsatz. Leider entdecken wir keinen Weg, auf dem wir uns noch so richtig austoben können, aber wir rollern ein bisschen hin und her durch die Kleinstadt und machen ein paar Bilder. Ich hoffe, das Wetter hält sich morgen, denn ich will mit dem Schiff fahren. Gleich muss ich aber unbedingt auch mal Schlechtwetteralternativen recherchieren, leider soll es nämlich morgen zumindest am Nachmittag regnen. Vielleicht gibt es ja in der Nähe ein nettes Wellnessbad...














Andrea

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #47 am: 27. Juni 2014, 12:20:30 »
Eine interessante Reise in die Vergangenheit. Ich hätte vermutlich den Bogen nach Kaliningrad noch ernsthafter überlegt, denn meine Familie väterlicherseits stammt von dort. Mein Vater wollte jahrelang nicht dorthin, aber er tat es dann doch irgendwann und besuchte die Straße, wo er gelebt hatte und sein Geburtshaus (glaube ich). Er verband rein gar nichts mehr damit, denn er war noch sehr klein, als sie vertrieben wurden. Mein Opa war zu diesem Zeitpunkt schon in Breslau als Polizist stationiert. Also ist dies irgendwie auch für mich eine kleine Reise in die Familiengeschichte...

Zum Stauffenbergattentat auf Hitler habe ich vor Urzeiten mal dieses Buch gelesen. Interessantes Gedankenspiel dazu, wenn das Attentat geglückt wäre...
Liebe Grüße, Andrea



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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #48 am: 27. Juni 2014, 12:44:35 »
Wirklich interessant, diese Reise in die Vergangenheit. Da kann ich mich Andrea nur anschließen. Danke fürs Zeigen der alten Fotos!

Die Störche finde ich auch klasse. Was würde ich mich freuen, wenn die sich auf unserem Dach niederließen. :)


Viele Grüße
Nadine

Paula

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #49 am: 27. Juni 2014, 13:40:11 »
also wenn ich Vorfahren in der Ecke hätte würde ich solch eine Reise auch gern machen. Meine Familie ist aus der gleichen Gegend in der wir heute noch wohnen (außer ich, ich bin nach München gezogen) da ist eine Reise in die Vergangenheit unspektakulär  :)
ich hatte mir ja immer einen Onkel in USA gewünscht, den gibts wahrscheinlich auch nicht.

Die ländliche Gegend in Polen die du uns heute gezeigt hast erinnert mich an den Osten Ungarns wo ich Mitte der 90er Jahre mal in Sommerurlaub war, da gab es auch Kopfsteinpflaster und Storchennester überall und das Essen war spottbillig. Das ist jetzt schon eher so wie ich mir den Osten vorgestellt habe. Die ländlichen Gegenden sind schon noch etwas weiter "zurück" oder?

Und die Wolfsschanze ist ja gruselig. Ich wußte gar nicht dass man die besichtigen kann. Unseren diesjährigen Urlaub beginnen wir mit einem unterirdischen Festungswerk an der Maginotlinie, bin mal gespannt wie das wird...
Viele Grüße Paula

Susan

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #50 am: 27. Juni 2014, 23:06:13 »
Sehr idyllische Gegend - erinnert mich teilweise an meine Kindheit. Die verbrachte ich  zwar nicht in Polen, aber auch sehr ländlich.
Liebe Grüße
Susan

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #51 am: 28. Juni 2014, 00:47:08 »
Andrea, Für Kaliningrad hätte man ein Visum gebraucht. Es gibt Rundreisen, bei denen man bis dorthin fährt, und ich hätte einen Blick hinter die Grenze sehr, sehr interessant gefunden. Wäre es 'mal eben' möglich gewesen, hätte ich es sicher gemacht...

Nadine, jedem Dorf seinen eigenen Storch! Ich meine, es war nichts gegen Südportugal, wo ich vor einigen Jahren im Frühjahr beim Blick aus dem Fenster gleich mehrere Nester sah, aber ich fand es so niedlich, dass so mancher Mast offenbar durch eine Haltevorrichtung extra vorbereitet war. Auf Schornsteinen hingegen waren die Vögel wohl eher nicht wohl gelitten, manche Schornsteine wirkten eher geschützt durch irgendeinen Aufsatz, als ob dort signalisiert würde: 'Kein Bauerschließungsgebiet' ;)

Paula, die Gegend ist einfach sehr ruhig und ländlich, wie bestimmte Ecken in Norddeutschland oder sicher auch in Bayern auch. Aber 'zurück' im Sinne von rückständig kann man das nicht nennen, eher der Landschaft und ihren typischen Merkmalen folgend. Da ist eben nicht viel los, da muss man sicher nicht überall breite Straßen bauen. Das Kopfsteinpflaster war ja auch neu und tip top. Ich nehme auch an, dass das teurer ist als mal eben Asphalt drüber zu legen.

Konsti meinte bei den Bildern, dass das ja irgendwie das 'typischere' idyllische Bilderbuchdeutschland sei. Ja, irgendwie schon! Und obwohl ich weiß, dass das noch östlich von Pommern war, hatte ich wie ein Mantra den Text von 'Maifer flieg' im Kopf: "Pommerland ist abgebrannt."

Susan, wo bist du denn groß geworden? Bei uns im Ammerland nördlich von Oldenburg kann man auch immer noch ewig weit über Landwirtschaftswege radeln bis zum Deich. Das ist schon ein bisschen wie dort in den Masuren, nur etwas langweiliger. Aber wie schön es im Norden auf dem Land ist, habe ich erst vor ziemlich kurzer Zeit begriffen. Früher musste ich eben bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad gegen den Wind dort, nun mache ich das nur noch freiwillig, das beeinflusst die Haltung der Region gegenüber schon sehr ;)






Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #52 am: 29. Juni 2014, 15:56:12 »
FR, 13.6.2014: Auf dem Schiff durch die Masuren

Heute ist in der Hotelrate das Frühstück mit eingeschlossen. Es ist für meinen Geschmack nicht aufregend, aber der Kaffee ist gut, und Apfelpfannkuchen zum Frühstück sind nicht zu verachten.

Gestern habe ich noch herausgefunden, dass die Ausflugsschiffe um 10.30 Uhr ablegen. Kurz vor 10 Uhr stehe ich am Anleger und erfahre, dass es eine insgesamt etwa sechs Stunden dauernde Tour gibt mit einer Stunde Aufenthalt im Zielort. Es braucht dazu aber mindestens acht Passagiere, und derzeit sind wir erst sieben. Zum Glück finden sich noch ein paar potenzielle Seefahrer, und so legt das Schiff pünktlich um 10.30 Uhr mit etwa 15 Passagieren ab, nachdem eine rabenschwarze Katze, die sich auf das Schiff verirrt hatte, wieder runterkomplimentiert wurde. Das wäre auch buchstäblich ein Schwarzfahrer gewesen!

Übrigens muss ich feststellen, dass es hier weiter im Norden nicht soooo gut bestellt ist um die Fremdsprachenkenntnisse der Menschen, aber der Bootsbespaßer spricht gut Deutsch.

Nun ja, man passt sich den Landessitten an, und als der Bespaßer herumgeht mit einem Tablett mit verschiedenen Wodkaarten, entscheide ich mich für einen likörartigen Wodka wegen der netten gelben Farbe. Nastrowje!



Bisher regnet es noch nicht. Ich glaube, das Wetter wird im Wetterbericht immer beschrieben als "wechselnd bewölkt", es sorgt für interessante Lichteffekte, wenn es Wasser und Ufer teilweise beleuchtet.

Zunächst geht es über einen großen See, da ist es ganz schön zugig. Dann biegt das Schiff in einen der Kanäle ab, die die vielen Seen miteinander verbinden.

Meine Güte, wie viele Boote es hier gibt. Und zwischen allem treiben Biber ihr Unwesen und bauen ganz schön große Bibervillen!













     



Gizycko ist unspektakulär. Westlich der Innenstadt ist ein Fort, schließlich sind wir hier für fast 1,5 Stunden. Das Fort ist aber für einen Ultrakurzbesuch nicht geeignet. Das Gelände ist etwas unübersichtlich und bietet wenig, unter dem man sich auf Anhieb etwas vorstellen kann.





   

Ziemlich schnell mache ich mich auf den Weg zurück zum Schiff. Weil das Frühstück immerhin schon mehr als fünf Stunden her ist, brauche ich noch dringend eine Portion Pommes und eine Cola auf die Hand, und kaum sind die verspeist, sehe ich einen der vielen Eis- und Waffelstände. Beide Verkäufer sind jung und ausgesprochen nett und sprechen sehr weltgewandtes Englisch.

Auf der Rückfahrt bin ich müde, außerdem ist es sehr trüb, und es regnet immer wieder ein bisschen. Es ist kalt geworden. Ich döse unter Deck im Warmen ein bisschen vor mich hin und verbringe einige Kilometer mit der Frage danach, warum Segler eigentlich immer oben herum Westen und Mützen tragen, aber immer kurze Hosen dazu. Den Rest der Zeit vergnüge mich mit dem Buch "How to be a German in 50 easy Steps" von Adam Fletcher, einem Briten. Ich finde es echt lustig, wie wir aus der Sicht eines Briten wahrgenommen werden. Wir kommen gar nicht so schlecht dabei weg. Mit etwas Erleichterung stelle ich jedoch fest, dass ich in einigen wesentlichen Punkten nicht "typisch deutsch" bin, in anderen allerdings schon.

Wieder angekommen nach dem dann schließlich siebenstündigen Ausflug schnappe ich mir Idefix um zu einem Natutrschutzgebiet mit See zu rollern, aber ich habe kein Glück, ist eben Freitag, der Dreizehnte. Da, wo der Trail zum See beginnt, ist alles noch in Ordnung und Idefix hat seinen Spaß daran über diesen Pfad zu huppeln, was erstaunlich gut geht. Aber irgendwann kommt jede Menge Matsch, für den meine Schuhe nicht gemacht sind. Ich entscheide mich für die Schuhe und gegen die Vögel und roller wieder zurück und noch etwas weiter über die Straße, doch der dortige Aussichtsturm ist wegen Renovierung geschlossen. Frech steige ich über den Zaun, vielleicht gibt es ja doch etwas zu sehen? Aber aus dem hölzernen Turm sind bereits die Stufen herausgebrochen, das traue ich mich dann doch nicht.











 

Nun ja, war trotzdem ein netter Ausflug vorbei an Kornblumen und Mohn. Ich setze mich an den Yachthafen und esse Fisch. Ich bin heute irgendwie KO, obwohl ich den ganzen Tag eigentlich gar nichts aktiv gemacht habe. Ich glaube, heute wird der Abend nicht sehr lang.


Andrea

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #53 am: 29. Juni 2014, 17:09:04 »
Wow, so viele Störche! Und so ein Klatschmohnfeld habe ich Jahre nicht mehr gesehen. Hier sehe ich immer nur Raps, Raps und noch mehr Raps. Wunderbare Eindrücke!
Liebe Grüße, Andrea



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MsCrumplebuttom

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #54 am: 29. Juni 2014, 19:54:03 »
Wenn man sich am hellichten Tag eine Wodka auf dem Bötchen zwitschert, sieht die Welt doch rosig aus!  ;) Hat er denn gut geschmeckt?


Viele Grüße
Nadine

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #55 am: 29. Juni 2014, 21:03:07 »
Schöne Natur, ein Tag auf dem Wasser, Biber, Störche, Sonne, Alkohol... Was will man mehr?  :drunken:

Hätte es dort auch "richtige" Natur-Touren gegeben? Nach dem Motto "Staksen mit Störchen, Bibbern mit Bibern"?  ;)


Paula

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #56 am: 29. Juni 2014, 21:11:55 »
Die Mohnblumen haben mich spontan an unsere Ostdeutschlandtour vor ein paar Jahren erinnert. Auch die Bilder von den Seen erinnern an die Mecklenburgische Seenplatte. Aber die Tierwelt ist in Polen noch viel zahlreicher, Biber und Störche, einfach klasse! Konntet ihr einen Biber sehen?
Viele Grüße Paula

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #57 am: 29. Juni 2014, 21:16:27 »
Och, hicks, man passt sich halt an...

Man kann dort Naturtouren zu Fuß und mit dem Rad machen. Ob es geführte Touren gibt, weiß ich nicht. Es ist schon anders als in den USA, man findet eben nicht überall Rafting und "Auf den Spuren der alten Ostpreußen"-Erlebnistouren.

Du kannst wandern, Segeln, Boote mieten, fischen, Radfahren usw.

Ich finde, die Region sollte ihre Vorzüge mehr herausstellen. Ich habe zwar nie eine Tourist-Info betreten und weiß nicht, was es da so alles gab, aber es gab auch in den Hotels nicht diese Flut von Flyern und Angeboten. Die Radwege waren auf einer Karte im Ort eingezeichnet, aber mir sind keine weithin sichtbaren Schilder in 5 Sprachen aufgefallen nach dem Motto: gelbe Radelstrecke zum XY-Schloss mit Abstecher zur YX-Höhle, 23 km, 30 Höhenmeter oder so.

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #58 am: 29. Juni 2014, 21:19:25 »
Ja, die Mohnblumen waren toll, teilweise wirklich so weit das Auge reicht. So viele habe ich hier, ehrlich gesagt, noch nicht gesehen.

Und ja, es erinnert wirklich total an die Mecklenburger Seen. Mit den Alleen auf der Zufahrt habe ich sehr oft auch an Rügen gedacht und an Mecklenburg-Vorpommern in der Zeit, als ich zu Beginn der 90er ein Praktikum in Greifswald gemacht habe.

Von den Bibern sah man leider nur den Bau und angenagte Bäume

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #59 am: 30. Juni 2014, 08:42:02 »
SA, 14.6.2014: Zwischenstopp in Danzig

Heute sollte es eigentlich nach Elblag gehen. Eigentlich wollte ich dort diese coole Tour mitmachen auf dem Elblag-Ostroda-Kanal, wo das Schiff bei Höhenunterschieden nicht durch eine Schleuse transportiert wird, sondern durch eine Art Seilzugsystem auf Schienen hoch gezogen wird. Leider wird das wohl nichts werden. Im Reiseführer ist zwar darüber zu lesen, aber bei meiner Internetrecherche bin ich auf keine offizielle Seite gestoßen, die etwas zu Abfahrtzeiten und Preisen sagt.

Also ist der Plan am Abfahrtsort Elblag nach Infos und Tickets zu schauen. Der Grund, dass ich nichts gefunden habe: Das Ding wird seit 2012 renoviert, diese Info habe ich erst vorgestern gefunden. Zwar wusste ich, dass eine Überholung der gesamten Anlage ansteht, aber weil diese Info eben schon ein paar Jahre alt war, dachte ich, das ist Geschichte. Tja, wäre nett gewesen, diese Info der Website des Betreibers entnehmen zu können...

Aber na gut, dann besichtige ich eben noch die Burg in Malbork und fahre dann noch ans frische Haff, storniere das Hotel in Elblag - das geht zum Glück noch -  und fahre heute noch nach Danzig weiter. Wer weiß, vielleicht stehe ich dann heute doch noch vor der Grenze Russlands und werde sie illegal mit einem Fuß übertreten...

Gesagt - getan. Schon früh bin ich unterwegs. Ich habe viel vor, werde mich aber sicher an den einzelnen Orten nicht sehr lange aufhalten, denn es ist Sauwetter angesagt.

Störche und Mohnblumen begleiten mich auch heute, grüne Wiesen, ein paar Kühe und Seen. Letztere werden im Laufe des Tages allerdings immer seltener.

Zuerst stehe ich dann tatsächlich vor der Grenze der EU, diese paar Kilometer Umweg habe ich mir leisten wollen. Trostlos ist es hier irgendwie, schon wegen des Wetters. Ein paar Kilometer weiter liegt Königsberg, heute Kaliningrad. Und so sieht sie heute aus, die erste richtige Grenze, an die ich seit Jahren gestoßen bin, außer bei der Immigration bei Einreisen auf dem Luftweg in andere Länder natürlich.



Zunächst ist es nur bewölkt, dann beginnt es zu gießen, pünktlich mit dem Erreichen von Frobork. Hier wollte ich eigentlich die als nett beschriebene Stadt mit der Burg besichtigen und die ersten Piroggen des Tages mit Blick auf die Ostsee genießen.

Aber nix da, statt dessen gehe ich in dem kleinen Örtchen lustlos auf und ab. Das Wetter wirkt sich immer sehr auf meine Stimmung aus, und bei diesem Wetter sind zudem sämtliche Buden verrammelt und verriegelt, die sonst Eis und Souvenirs verkaufen. Lediglich das immer wieder in jedem Ort zu findende Kopernikus-Denkmal harrt tapfer im Regen aus. Somit ist mein Aufenthalt nicht sehr lang. Auf die Burg an sich habe ich keine Lust, denn heute steht immer noch Malbork an.



Das Thermometer im Auto zeigt über die gesamte Fahrt 10 bis 12 Grad an, oft nieselt oder gießt es, es ist windig und fröstelig. Aber in der Burg in Malbork hat sich die Wärme der letzten Tage offenbar noch gehalten, hier ist es so warm, dass ich fast glaube, die Heizung läuft.

Ich habe irgendwie die Stelle verpasst, an der die Audioguides ausgegeben werden, die Erklärungen sind nur auf polnisch. Insofern bleibt der Fantasie überlassen mir zusammenzureimen, was es denn hier zu sehen gibt. Imposant finde ich den großen Rittersaal mt den langen Tischen, und auffällig finde ich, dass die integrierte Kathedrale (noch) nicht saniert ist. Ich hoffe, sie soll so bleiben, irgendwie ist sie so etwas Besonderes und hebt sich von den ganzen schmucken Kirchen ab in den anderen Burganlagen.









 





     

bis Danzig ist es nur noch eine Stunde. Es ist erstaunlich leer in der Stadt und ich bin schnell am Hotel Best Western Bonum. Auch das ist sehr schön: Ein kleines schnuckeliges Zimmer, tip top in Ordnung hinter der Fassade eines alten Stadthauses.

Ich breche auf zu einer ersten Erkundung. Morgen, wenn der vorausgesagte Sonnenschein eingetroffen ist, rollere ich nochmals los. Ich weiß im Moment nicht so recht, was ich von Danzig halte. Die Stadt wirkt nicht so sehr wie "Schmuckstück" wie Krakau. Vieles scheint nur notdürftig saniert. Fehlt der Stadt das Geld? Oder bin ich so übersättigt von bunten Häusern um schöne Plätze herum? Oder ist das hier einfach eine Stadt, die lebt und in der gearbeitet wird, und es fällt einfach mehr auf als in Krakaus Zentrum?

Aber gerade das finde ich sehr angenehm, dass man der Stadt ihre Geschichte ansieht, von der wuchtigen Marienkirche, den Speichern am Wasser und dem alten Gebäude der LOT, in dem heute ein Rossmann ist bis zu den Plattenbauten mit Wohnungen im Hintergrund und modernen glitzernden Gebäuden des neuen Jahrtausends ist hier alles dabei, jede Epoche. Hier wurde und wird halt gelebt, die Stadt ist kein Museum.









   





   

Danzig ist eine Bernsteinstadt. Es gibt etliche mehr oder weniger geschmackvolle Souvenirs daraus. Es gibt Restaurants und Lokale ohne Ende, eine Prachtstraße und eine Promenade am Fluss. Und auch hier in der Stadt übrigens überall wieder freies WIFI. Und Danzig setzt noch einen drauf. Viele Sehenswürdigkeiten sind mit einem QR-Code verbunden, sodass man über eine App auch gleich nachlesen kann, was es hier zu sehen gibt.













     

Leider gießt es immer wieder, zum Glück nicht mehr so stark wie in Frobork. Ich freue mich auf eine nochmalige Tour morgen bei Sonne und auf drei Tage in Zoppot bei wieder besserem Wetter. Heute brauchten Idefix und ich den Schirm, auch wenn man mit dem Schirm in der Hand nicht Roller fahren kann.



Die vielen Brautpaare in Polen, die wirklich auffällig häufig zu sehen sind, hält das Wetter auch hier nicht vom Heiraten ab. Na ja, irgendwie müssen ja die vielen Störche hier ihre Daseinsberechtigung haben...