8. April: Kyoto - OsakaGestern war der Kinkakuji, der goldene Tempel, dran, heute will ich zum Ginkakuji, dem silbernen Tempel. Der macht, das habe ich extra nochmal nachgesehen, schon um halb neun auf. Um kurz nach acht nehme ich den Bus, der etwa hundert Meter vom Hotel abfährt. Überhaupt liegt das Hotel wirklich günstig: direkt an der U-Bahn und an einer Kreuzung, an der viele Buslinien abfahren, und es ist fußläufig nach Gion. Und nur zwei Gebäude vom Hotel entfernt beginnt mit Armani und Co. die teure Einkaufsmeile.
Der Bus bringt mich ins nordöstliche Kyoto, zum Beginn des sogenannten Philosophenweges. Seinen Namen soll der etwa zwei Kilometer lange Weg bekommen haben, weil Nishida Kitaro, ein berühmter Philosoph tagtäglich in Gedanken versunken auf dem Weg zur Universität hier entlang ging. Zur Kirschblüte ist der Weg entlang des Kanals besonders schön. Aber Schönheit ist vergänglich, und am Anfang des Weges bedeckt schon ein Teppich aus abgefallenen Blütenblättern das Wasser. In ein paar Tagen werden die Kirschbäume die rosa Blüten wohl schon gegen grüne Blätter getauscht haben.
Bald ist auch der Ginkakuji erreicht, an dem heute morgen noch nicht viel los ist. Ob es an dem schönen, sonnigen ruhigen Morgen liegt oder daran, dass hier die Zensteingärten mit Bäumen und Moosen kombiniert sind, weiß ich nicht, aber jedenfalls schließe ich den Ginkakuji sofort ins Herz und schlendere entspannt durch den Garten. Der Ginkakuji, der Silberne Pavillon, wurde 1482 von einem Shogun nach dem Vorbild des Goldenen Pavillons als Alterssitz errichtet. Silbern war er aber nie. Nach dem Tod des Shoguns wurde die Villa in einen Zen-Tempel umgewandelt.
Danach gehe ich weiter am Philosophenweg entlang. Wer mag, kann sich unterwegs ein paar Souvenirs kaufen. Ab und zu weisen Schilder auf kleinere Tempel und Schreine hin. Ich überlege, ob ich aufs Geratewohl einen oder zwei anschauen soll, aber dann setze ich mich lieber in ein Café am Weg und esse eine Ramen-Nudelsuppe. Schließlich habe ich heute morgen noch nichts gefrühstückt.
Am Ende des Philosophenweges ist es dann nicht mehr weit bis zum Eikando-Tempel. Der soll besonders bei der Laubfärbung im Herbst sehr schön, aber auch brechend voll sein. Heute ist hier wenig los.
Während des Tempelbesuchs höre ich ständig Musik und Gesang aus der Nähe und frage mich schon, ob ein Fest stattfindet. Aber als ich weitergehe, kommen mir scharenweise Jungen in Anzügen mit stolzen Eltern entgegen bzw. mit stolzen Müttern, Väter fallen mir zumindest keine auf. Ob heute der erste Schultag ist? Das würde jedenfalls dazu passen, dass der Holländer mir gestern gesagt hat, dass die Ferien bis zum letzten Wochenende gegangen sind und dass es die letzten Tage auch deshalb überall so voll war.
Von hier sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Nanzenji, einem der bedeutendsten Zen-Tempel in ganz Japan. Außergewöhnlich ist hier das westlich anmutende Aquädukt, aber ästhetischer ist sicher der Tempel selbst mit dem Tempelgarten. Weiter oberhalb am kleinen Nanzen-in-Tempel finde ich auch noch ein bisschen „Laubfärbung“. Hm, im Herbst ist es hier bestimmt auch ganz schön.
Die Sonne brennt inzwischen gnadenlos und ich gönne mir eine zweite Ladung Sonnencreme, bevor ich zum Heian-Schrein weitergehe. Das große Tor überspannt schon weit vor dem Schrein die Straße.
Am Schrein angekommen, kaufe ich mir ein Ticket für den Garten, denn der Schrein ist für seine Kirschbäume berühmt. Viele Bäume säumen die Wege, vor allem viele Weeping Cherrys, die weit über Wege und Teiche hängen. Am schönsten sind aber die Kirschbäume rund um einen der Teiche.
Ein würdiger Abschluss war das, und so langsam mache ich mich auf Richtung Hotel. Zum Glück finde ich nach einigem Suchen die richtige Bushaltestelle und komme auch bald in der Shijodori an, in der das Hotel liegt. Vorher will ich mir aber noch den Nishiki-Markt anschauen, in dem man vor allem Lebensmittel kaufen kann. Ich kaufe mir hier aber keinen Fisch oder Oktopus am Spieß, sondern ein Paar passende Schuhe für meinen Kimono. Die kosten zwar so viel wie Kimono und Obi zusammen, aber schließlich will ich sie ja auch nicht gebraucht haben.
Damit ist der Besuch in Kyoto abgeschlossen. Ich gehe zurück ins Hotel und packe meinen Koffer zusammen. Dabei bricht mir der Schweiß aus: Es kann doch nicht sein, dass der Koffer plötzlich nicht mehr zugeht, so dick sind der Kimono und der Obi doch auch nicht. Nur mit Mühe bekomme ich den Reißverschluss zu, aber immerhin, der Koffer ist zu, ich muss meine Habseligkeiten nicht in Tüten mit mir mitschleppen. Ich nehme mir vor, in drei Tagen in Hiroshima den Koffer mal von Grund auf neu zu packen. Der Mitarbeiter an der Rezeption ist etwas überrascht, als ich um viertel nach vier auschecke, schließlich wollte ich ja eigentlich bis morgen bleiben. Ja, wollte ich. Eigentlich sah mein Plan vor, morgen so früh wie möglich nach Osaka zu fahren und von dort aus weiter zum Koyasan. Aber vor ein paar Wochen ist mir klargeworden, dass der Weg nach Koyasan mich quer durch Osaka oder auf einer vielgenutzten Bahnlinie um Osaka herum führen wird, und morgen früh müsste ich dort zur schlimmsten Rush-Hour durch. Also reise ich schon heute nach Osaka und quer durch die Stadt und muss dann morgen früh nur in Südosaka am Namba-Bahnhof in den Zug Richtung Süden hüpfen.
Zunächst fahre ich aber die altbekannte Strecke mit der U-Bahn zum Bahnhof und finde dort schnell das Gleis, an dem die Züge nach Osaka abfahren. Die Leute stehen mal wieder quer über den Bahnsteig Schlange. Zum Glück komme ich in den vollen Zug nicht mehr rein, und der nächste Zug ist ein Lokalzug, der statt einer halben Stunde eine Dreiviertelstunde bis Osaka braucht und vermutlich deshalb relativ leer bleibt. So kann ich mich setzen und meinen Koffer neben mir abstellen.
In Osaka steige ich am Hauptbahnhof aus, bin kurz etwas orientierungslos, finde dann aber doch die Beschilderung zur U-Bahn-Station Umeda und zur Midosuji-Linie. Dort habe ich eine regelrechte Erscheinung: Gerade als ich auf der Tafel schauen will, wieviel die Fahrt nach Namba kostet, erscheint ein Mann in einer weißen Uniform neben mir, fragt mich, wohin ich will, erklärt mit den Automaten, gibt mir einen U-Bahnplan, nennt mir den Bahnsteig, weist mir die Richtung und ergänzt noch, dass weiter hinten ein Aufzug ist. Ich bin hocherfreut. Warum gibt es einen solchen Service in Osaka und woanders nicht?
Die U-Bahn ist in Osaka aber leider genauso voll wie anderswo und mein Koffer erntet böse Blicke und gerümpfte Nasen. Na und, denke ich mir, ich habe hier genauso bezahlt wie ihr. Ich muss aber insgeheim zugeben, dass dort, wo mein Koffer steht, mindestens eineinhalb Japaner stehen könnten. Jedenfalls bin ich froh für die Entscheidung, die Fahrt nach Osaka auf heute vorzuziehen und mich nicht morgen früh unter Zeitdruck hier durchquetschen zu müssen.
Ich steige in Namba aus, und dank dem Lageplan aus dem Internet ist auch das „Business Hotel Nissei“ schnell gefunden. Auf dem Weg dorthin merke ich schon die Nähe zur Amüsiermeile Osakas. Überall überdachte Passagen, Spielhallen, Restaurants. Es sieht fast aus wie im Videospiel. Dafür wirkt das Hotel dann umso nüchterner, aber es ist ja nur für eine Nacht, denke ich und ziehe wieder los.
Zuerst gehe ich ein paar Minuten zur Namba-Nankei-Station. Dort kaufe ich mir ein Koyasan World Heritage Ticket, das für zwei Tage gilt und die Fahrten zwischen Namba und dem Koyasan sowie die Busfahrten in Koyasan abdeckt. Außerdem finde ich heraus, dass es hier im Bahnhof eine lobenswerte Anzahl großer Schließfächer gibt. Das passt mir gut, denn ich will nur mit einer kleinen Tasche nach Koyasan fahren und den Koffer übermorgen wieder abholen und hätte ihn ansonsten im Hotel lassen müssen. Dann werfe ich mich ins Getümmel. Irgendwo hatte ich gelesen, die Gegend hier in der Nähe der Namba-Station, Minato, sehe so aus wie die Szenarien aus dem Blade-Runner-Film. Ob es so ist, weiß ich nicht, denn ich bin bei Blade Runner trotz Harrison Ford eingeschlafen, aber jedenfalls ist es so, wie ich mir das Nachtleben in Japan vorgestellt habe. Lichter, Videoleinwände, groteske Figuren und ständige Beschallung mit Musik und Werbesprüchen.
Überall gibt es Oktopusse, und ich will jetzt auch endlich mal Oktopus probieren und suche mir ein Restaurant aus, in dem man an der Theke sitzen kann.
Ich probiere es mit Oktopus-Tempura, also frittiertem Oktopus, denn Frittiertes geht ja eigentlich immer. Als der Oktopus dann kommt, dippe ich ihn vorschriftsmäßig in die ebenfalls servierte Sauce.
Na ja. Das Zeug kaut sich zäh wie irgendeine Gummimasse. Und beim zweiten Stück sehe ich dann durch die Panade die großen Saugnäpfe schimmern. Igitt. Ich bekomme das Stück kaum runter. Den Rest lasse ich stehen, das geht ja gar nicht. Ein Chinese aus Hongkong, mit dem ich ins Gespräch komme, fragt mich dann, ob mir mein Essen schmeckt, was ich geradeheraus mit „No“ beantworte. Er grinst, und ich frage ihn, ob er probieren möchte. Erstaunlicherweise schmeckt ihm der Oktopus und er isst brav meinen Teller leer.
Immerhin zahle ich inklusive einem Bier nur 800 Yen, aber um satt zu werden hole ich mir ein paar Straßen weiter noch zwei gefüllte Dampfnudeln. Dann sehe ich eine Pachinko-Halle. Hm, das wollte ich doch auch mal ausprobieren, also los!
Zuerst bin ich ja gar nicht sicher, ob das überhaupt Pachinko ist, ich dachte, da spielt man mit Kugeln so eine Art Flipper. Aber ein Mitarbeiter erklärt es mir dann und bringt mir sogar eine englische Kurzanleitung. Das ganze geht so: Man schiebt Geld in den Automaten und bekommt dafür kleine Kugeln. Durch das Drehen an einem Rad werden die Kugeln in den Automaten geschossen, und je weiter man das Rad dreht, desto eher fallen sie links oder rechts im Automaten herunter. Ziel ist es, die Kugeln in einen Schacht in der Mitte zu befördern, dann flackert sowas ähnliches wie eine Slot-Machine über den Bildschirm und man drückt auf einem Knopf herum, um drei Symbole in eine Reihe zu bekommen. Der Bildschirm in der Maschine ist definitiv nicht für Epileptiker geeignet, und das ganze findet in einem Höllenlärm statt, denn die Automaten spielen Musik und schmettern Fanfaren. Spielt man erfolgreich, hat man irgendwann mehr Kugeln als man gekauft hat und kann diese Kugeln schließlich gegen Preise eintauschen – und die Preise an der nächsten Ecke gegen Geld eintauschen. Spielt man erfolglos, so wie ich, sind ziemlich schnell die Kugeln aufgebraucht und man verlässt mit einem Hörschaden die Halle.
Heute abend packe ich die kleine Übernachtungstasche für den Koyasan. Als ich mich ins Bett lege, brummt mir immer noch der Kopf von der Geräuschkulisse von Minato und vor allem der Pachinkohalle. Morgen wird es bestimmt ruhiger zugehen.
Ausgaben des TagesGinkakuji Y 500
Eikando Y 600
Nazenji Y 500 (Hojo) und Y 300 (Nanzenin)
Heian-Schrein Y 600 (Garten)
Busfahrten Y 460
U-Bahn-Fahrten Y 470
Abendessen Y 800
Snacks und Getränke Y 1500
Pachinko Y 1000
Koyasan World Heritage Ticket Y 2860
1 ÜN im Hotel Toyoko-Inn Shijo-Karasuma Y 8230 (nicht genutzt)
1 ÜN im Businesshotel Nissei Y 5590
Oktopus und Pachinko von der To-do-Liste nehmen zu können: unbezahlbar