31. März: Tokio – Hakone – TokioDer Jetlag hat mich immer noch im Griff. Gestern nacht bin ich dann doch erst gegen halb drei eingeschlafen. Heute morgen ist das Aufstehen also auch nicht gerade leicht.
Das Frühstück muss ausfallen, denn das vorhergesagte sonnige Wetter soll sich nur bis Mittag halten, also will ich früh los. Ich muss zuerst mit der Yamanote Linie zum Bahnhof Tokio und will von dort aus um 7.56 Uhr mit dem Shinkansen weiter nach Odawara. Yamanote Linie und Umsteigen in Tokio zur besten Rush Hour, dafür plane ich lieber mal mehr Zeit ein und verlasse um kurz nach sieben das Hotel.
Am Bahnhof bin ich schnell, die Yamanote Linie Richtung Tokio fährt auch sofort ab, als ich komme, und zwei Stationen lang ist alles völlig normal. In Akihabara geht es aber nicht mehr weiter. Der Zug steht, einige Leute verlassen den Zug wieder und stellen sich am gegenüberliegenden Gleis am Lokalzug an. Ich habe nur noch zwei Stationen und ein paar Minuten Fahrt vor mir, und jetzt sitze ich in diesem Zug fest. Im Moment bin ich völlig „Lost in Translation“, denn ich verstehe natürlich kein Wort von der Durchsage. Schließlich erscheint im Zug die englische Anzeige, dass es eine „Passenger Injury“ gegeben habe. Ob sich da jemand vor den Zug geworfen hat? Irgendwo hatte ich gelesen, dass der höfliche Japaner so etwas normalerweise nicht während der Rush Hour tut und idealerweise am Bahnsteig noch seine Schuhe auszieht.
Wie dem auch sei, der Zug steht. Inzwischen werden die Durchsagen am gegenüberliegenden Gleis immer aufgeregter, was damit zusammenhängen könnte, dass die Leute dort gnadenlos in den Zug drängen. Die Schlange für den Zug reicht inzwischen schon in unseren Zug.
Fast lasse ich mich von der Stimmung anstecken und will aussteigen und mich gegenüber ins Getümmel werfen, aber ich erinnere mich daran, dass ich hier schließlich Urlaub mache und dass es von Tokio aus auch andere Züge nach Odawara gibt, die ich nehmen kann. Ein Blick in meinen Plan verrät, dass der folgende Zug um 8.26 Uhr fährt.
Die Yamanote Linie nimmt schließlich nach einer halben Stunde Wartezeit den Betrieb wieder auf. Den 7.56-Uhr-Zug verpasse ich natürlich, aber ich bin früh genug am Bahnsteig, um mir vor dem folgenden Shinkansen an einem Kiosk noch ein Sandwich und Getränke zu kaufen. Dann steht der Shinkansen, ein Kodama, zum Einsteigen bereit, und zumindest jetzt ist es noch wunderbar leer im Abteil.
Wir fahren pünktlich los, vorbei an Büro- und Wohntürmen, dann wird die Bebauung niedriger. Wir halten in Shinagawa und Yokohama, dann geht die Fahrt weiter nach Odawara. Auf dem Weg dorthin erhasche ich einen ersten Blick auf die Hauptattraktion des heutigen Reisetages: den Berg Fuji. Um ihn zu sehen und ein paar andere Sachen zu erleben, will ich heute einen Rundtrip mit Zügen, Cable Car, Seilbahn, Schiff und Bus machen, den „Hakone Round Course“.
In Odawara kommt der Shinkansen nach einer guten halben Stunde an. Hier verlasse ich den JR-Bereich des Bahnhofs und gehe hinüber zum Tozan-Bereich. Dort will ich mir den Hakone Free Pass kaufen, mit dem man alle Verkehrsmittel nutzen kann, die man für den Rundkurs braucht. Den Automaten verstehe ich nicht, also reihe ich mich in die Schlange am Ticketschalter ein. Das Ticket kostet 3900 Yen, informiert mich eine Mitarbeiterin. Das wusste ich. Was ich nicht wusste, ist, dass die Seilbahn, mit der ich fahren will, wegen Wartungsarbeiten geschlossen ist. Vielleicht wird sie heute nachmittag wieder fahren, erklärt mir die Mitarbeiterin. Und wenn nicht? frage ich. Dann könne man einen Bus nehmen, erfahre ich. Na gut. Jetzt bin ich sowieso hier, also lasse ich es drauf ankommen.
Was besonders erwähnenswert ist: Die Mitarbeiterin hat in meinen Augen gute Chancen auf eine Auszeichnung als ineffektivste Arbeitskraft des Jahres. Sie hat es übernommen, die in der Schlange wartenden Touristen zu beraten und für sie irgendeinen Wisch auszufüllen, den man dann vorlegt, um die Fahrkarte zu kaufen. Ich weiß nicht warum, aber nach jedem beratenen Touristen trippelt sie hinter der Schlange herum ins Ticket-Office, holt dort eine einzige Infobroschüre, trippelt wieder um die Schlange herum zum nächsten wartenden Touristen, fragt den Touristen, ob er ein Ticket für den Rundkurs kaufen will, was der Tourist erwartungsgemäß bejaht, trippelt dann wieder ins Office, um ein einziges Formular zu holen, füllt das Formular aus, gibt es dem Touristen und holt dann eine Infobroschüre für den nächsten Touristen. Wow. Würde die Frau sich wenigstens fünf Broschüren und Formulare auf einmal holen, müsste sie am Tag vermutlich 10 km weniger laufen. Aber offenbar gibt es sogar in Japan Dinge, die nicht effizient organisiert sind - irgendwie dann auch wieder sympatisch.
Der Tozan-Zug nach Hakone-Yumoto steht schon am Bahnsteig.
Er fährt von Odawara aus in einer Viertelstunde nach Hakone-Yumoto. Dort wartet schon der Anschlusszug am Gleis. Mit ihm geht es in einer halben Stunde bis Gora. Dabei windet sich der Zug etwa 300 Höhenmeter den Hang hinauf, durch Tunnel und über Pässe. Der Zug ist richtig voll. Offenbar bin ich nicht die einzige, die heute morgen bei strahlend schönem Wetter zum Fuji will. In Gora soll es mit der Cable Car weitergehen, und gerade, als ich mir so völlig naiv denke, dass ich sicher noch die Bahn um 10.36 Uhr erwische, werde ich zusammen mit den anderen Fahrgästen aus unserem Zug ans Ende einer langen langen Schlange gelotst. Natürlich ist es die Schlange für die Cable Car.
Aus 10.36 Uhr wird natürlich nichts, auch um 11.53 Uhr stehe ich noch in der Schlange, aber um 11.08 Uhr geht’s dann tatsächlich los. Die Bahn braucht keine 10 Minuten bis zur Station Sounzan. Und was passiert an der Station Sounzan? Natürlich Schlangestehen. Immerhin Schlangestehen für die Seilbahn, denn die fährt inzwischen netterweise doch. Nach einer halben Stunde geduldigen Wartens darf ich dann endlich in eine Gondel klettern und bin auf dem Weg nach Owakudani, der Bergstation. Und kaum haben wir ein paar Höhenmeter hinter uns gebracht, taucht der Star des Tages hinter den Bergen auf: Wir haben freie Sicht auf den Fuji. Durch die Gondel geht ein Juchzen, die Fotoapparate werden gezückt, ich knipse fleißig mit. Tatsächlich immer noch blauer Himmel, trotz des langen Wartens. So ein Glück!
Von Owakudani aus hat man natürlich noch einen besseren Blick auf den Fuji als aus der Gondel. Ich bin völlig fasziniert und kann plötzlich verstehen, warum er den Japanern als heiliger Berg gilt. Er ist so perfekt, wirkt einerseits zum Greifen nah, andererseits mit seinen schneebedeckten Gipfel so entrückt, so als würde er gar nicht zu dieser Landschaft gehören. Ich finde jedenfalls, dass sich der beschwerliche Weg hierher absolut gelohnt hat, um diesen Blick zu genießen.
In Owakudani kann man sich noch ein paar heiße Quellen anschauen, die liegen gegenüber am Berghang.
In einer Quelle werden Eier gekocht, die nach einigen Minuten vom Schwefel schwarz sind.
Den schwarzen Eiern hat man in der Nähe der Seilbahnstation ein Denkmal gesetzt, vielleicht ist es aber auch nur ein Wegweiser, was weiß denn ich. Dort stehen die Japaner wieder Schlange, diesmal, um sich mit dem großen Ei und den gerade gekauften kleinen Eiern gegenseitig zu fotografieren. Ich stelle mich auch in die Schlange, allerdings in die für die nächste Seilbahn. Wieder eine halbe Stunde Wartezeit, dann geht es mit der Seilbahn wieder hinunter. Aber unterwegs zeigt sich natürlich wieder der Fuji, und einen Blick auf den nahen See Ashi gibt es auch.
Die Talstation liegt direkt am Seeufer, und dort kann man mit einem Schiff ans gegenüberliegende Ufer fahren. Davor muss man allerdings wieder – richtig: Schlangestehen! Egal, ich habe den Fuji gesehen, denke ich zufrieden. Die Shinto-Götter belohnen diese Einstellung offenbar, denn ich schaffe es gerade noch auf das nächste Schiff. So langsam frage ich mich ja wirklich, wieviel Betrieb hier an Wochenenden herrscht.
In Hakonemachi verlasse ich nach der etwa halbstündigen Fahrt das Schiff und gehe zum Checkpoint-Museum. Dort wurde eine Kontrollstation am alten Tokaido-Handelsweg wieder aufgebaut, der in der Edo-Zeit Tokio und Kyoto miteinander verbunden hat. Die meisten Leute sind auf dem Schiff geblieben, hier im Museum sind nur wenige unterwegs. Ich genieße es, endlich wieder dem eigenen Rhythmus folgen zu können, und das Museum ist gut gemacht. Es zeigt die ehemaligen Ställe, verschiedene Räume und den Aussichtspunkt.
Ein Stück weiter liegt am Seeufer ein ehemaliger Palastgarten, der – wie sollte es anders sein – als besondere Attraktion den Blick auf den Fuji hat. Am Ufer entlang laufe ich zwischen hohen Bäumen über einen verwunschen wirkenden Weg, bevor der Aussichtspunkt erreicht ist. Inzwischen ist die Sonne fast verschwunden, und der Himmel wirkt diesig, aber immerhin ist der Fuji noch zu sehen.
Weiter geht es durch eine Zedernallee. Die führt leider direkt an der Landstraße entlang, aber auf den Fotos hört man die Autos ja nicht. ;-)
Schließlich ist Moto-Hakone erreicht, und dort hat man einen der bekanntesten Fuji-Blicke, nämlich mit dem roten Torii des Hakone-Schreins am Seeufer.
Von hier aus sind es nur noch ein paar Meter bis zur Bushaltestelle, wo natürlich wieder viele Menschen Schlange stehen. Ich gehe aber erst mal vorbei, denn ich will noch zum Hakone-Schrein. Der liegt im Wald oberhalb des Sees. Zunächst geht man durch ein Torii, dann führt eine Allee zum Becken für die rituelle Reinigung.
Von hier aus erklimmt man einige Stufen bis zum eigentlichen Schrein.
Heute verzichte ich mal auf den Ankauf von Glück. Das muss schließlich von gestern noch wirken. Die Ema-Täfelchen sind hier übrigens schöner als gestern am Meji-Schrein.
Wer es am Eingang des Schreingeländes versäumt hat, sich ordentlich zu waschen, dem speien die kleinen Drachen hier oben sicher gerne noch etwas Wasser.
Der letzte Weg führt mich hinunter zum Torii am Seeufer.
Dann gehe ich langsam wieder nach Moto-Hakone zurück. Ich habe einen Riesenhunger, denn außer dem kleinen Sandwich heute morgen habe ich heute noch nichts gegessen, und jetzt ist es schon halb sechs. Zum Glück fährt gerade einer der seltenen Expressbusse ab, als ich zur Bushaltestelle komme, also ab hinein, diesmal ohne Schlangestehen, und ich ergattere sogar noch einen Sitzplatz. Den kann ich dann auch länger als geplant genießen, denn der Expressbus bleibt auf dem Weg nach Odawara im Stau stecken. Klar, heute morgen wollten alle hierher, jetzt wollen alle wieder nach Hause. Dafür passt es dann doch wieder am Bahnhof Odawara, denn nur 10 Minuten nach der Ankunft fährt ein Shinkansen nach Tokio, diesmal ein Hikari. Während der halbstündigen Rückfahrt schlafe ich beinahe ein, so müde bin ich. Trotzdem finde ich dann noch souverän den Weg in die Yamanote Linie nach Ueno.
In Ueno biege ich kurzentschlossen ins Hard Rock Café ab, das direkt im Bahnhof liegt. Hier ist es wirklich eher ein Café als ein richtiges Restaurant, aber ich bin nicht wegen des Styles hergekommen, sondern um überbackene Nachos zu essen. Der Kellner fragt sicherheitshalber zweimal nach, ob ich alleine denn wirklich diesen großen Teller Nachos bestellen will, und dann auch noch mit zusätzlicher Guacamole. Ja, das will ich, und ich vertilge die Nachos mit Todesverachtung, während sich am Nebentisch zwei Japanerinnen einen Salat teilen.
Gegen halb neun komme ich schließlich ziemlich erschöpft im Hotel an. Morgen soll es mal etwas entspannter werden, nehme ich mir vor. Und vielleicht kann ich heute ja mal vor Mitternacht einschlafen?
Ausgaben des Tages:Hakone Free Pass Y 3900
Sandwich und Getränke Y 600
Hakone Checkpoint Museum Y 400
Hardrock Café Y 4100
1 ÜN Hotel Coco Grand Ueno Shinobazu Y 10800
Blick auf den Fuji: unbezahlbar
Gute Nacht!