Ich versuche mal auf ein paar Sachen einzugehen:
Menschen im Gebet. Ich sehe es so, dass ich dabei weniger ein Foto des Individuums mache sonder eine Situation, eine Szene, eine Symbolik festhalte. Das Gebet ist das wichtige, nicht die Person, die deshalb nicht zu erkennen sein sollte. Natürlich wird sein Sohn oder seine Frau den Mann auch von hinten erkennen aber er ist eben nicht für jeden erkennbar als Person im Internet ausgestellt.
Für mich macht das einen Unterschied. Ich kann aber durchaus verstehen, dass man anderer Meinung sein kann und solche Fotos ablehnt. Ich erkenne auch, dass ich hier heimlich fotografiert habe, also von dem Schuss aus der Entfernung mit dem Tele gar nicht so weit weg bin. Der Unterschied ist für mich, dass ich kein Portrait mache und die Person nicht für jeden erkennbar ist.
Der Mann mit dem Handy hat nur noch hilflos gegrinst - ist das wirklich eine Zustimmung oder nur die Resignation vor der Tatsache, dass eine Diskussion zu einem Streit führen kann, auf den er jetzt einfach keinen Bock (und keine Zeit) hat?
Du warst dabei? Leider stimmt nichts davon.
Der gute Mann hatte vorher schon gesehen, dass ich ihn fotografieren wollte, sich dann aber im Gespräch noch einmal abgewendet, als ich abgedrückt habe. Anschließend hat er mich angeschaut, laut gelacht und mich auf deutsch angesprochen, ob ich ihm das Bild mailen könnte. Man kann also wohl davon ausgehen, dass er einverstanden war.
Wieviele dieser "impliziten" Zustimmungen wären real auch erfolgt, wenn man (wie es eigentlich selbstverständlich wäre) vorher gefragt hätte, anstatt einfach vollendete Tatsachen zu schaffen?
Das hättest Du aber auch bekommen, wenn Du vorher fragst. Dann will dieser Mensch das. Aber einfach machen und implizit hinterher die fehlende Ablehnung als Einverständnis zu interpretieren geht mir zu weit.
Ich bin aber auch schon auf Menschen zu gegangen und habe einfach gefragt, ob ich ein Foto machen darf, egal ob hier in D oder auf Reisen.
Bei dem Harfenspieler und seinem weiblichen Fan habe ich beide angeschaut, auf meine Kamera gezeigt und ein fragendes Gesicht gemacht (für mehr reicht mein spanisch leider nicht). Beide haben gelächelt, genickt, sich wieder umgedreht und sich nicht weiter um mich gekümmert. In Afrika habe ich das gelegentlich genau so gemacht. Manchmal bekomme ich ein nicken, manchmal eine Ablehnung, die ich natürlich respektiere.
Es ist für mich ein grundsätzliches Problem, weil es ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt.
Nicht wenn die fotografierte Person damit einverstanden ist.
Ich bin jetzt nicht der große Street- und Menschenfotograf aber ich kann durchaus nachvollziehen, dass es Leute gibt, die Landschaften und leere Straßen völlig öde finden und nur Menschen fotografieren wollen.
Ja, aber diese Menschen müssen ihrerseits respektieren, dass anderen Menschen eine Würde besitzen und ein Persönlichkeitsrecht.
Und wer sagt, dass sie das nicht tun? Das muss ja nicht immer verbal passieren.
Ich bin im Herbst mehrfach in Holland Hirsche in der Brunft fotografieren gewesen. Dabei bin ich mit dem Großen Stativ mit Kamera und 500er Tele über der einen und einer zweiten Kamera über der anderen Schulter die Straße auf und ab gelaufen. Dabei habe mich mehrfach Radfahrer und Spaziergänger geknipst. Meist gab es einen fragenden Blick und ich habe genickt oder gelächelt. Das Einverständnis war damit gegeben. Und natürlich hätte ich kein Problem damit, nein zu sagen. Ich hätte mich ja nur schnell weg drehen müssen.
Wenn diese Art der Kommunikation als Einverständnis nicht ausreicht, könnte es nie wieder Reisereportagen, Dokumentationen, etc. aus "exotischeren" Ländern geben, bei denen Menschen irgendwo auf der Welt bei ihrer täglichen Arbeit zum Beispiel auf dem Feld gezeigt werden oder das farbenfrohe Straßenleben in Indien zum Beispiel. Keine Fotos, keine Videos dieser Art wären möglich, wenn man Deine Bedenken konsequent umsetzen würde. Denn man könnte sich ja nie sicher sein, ob eine Zustimmung "wirklich eine Zustimmung [ist] oder nur die Resignation vor der Tatsache, dass eine Diskussion zu einem Streit führen kann, auf den er jetzt einfach keinen Bock (und keine Zeit) hat? " Wobei ich persönlich finde, dass es auch in Ordnung ist, wenn dem Betroffenen offensichtlich sein Persönlichkeitsrecht einfach so unwichtig ist, dass er keinen Bock hat, etwas dafür zu tun
Wie gesagt, eine absolute Wahrheit gibt es bei diesem Thema sicher nicht. Aber ich finde die Diskussion sehr interessant und nehme sie als Anlass, noch einmal über meine Position nachzudenken.
Interessant finde ich auch, dass derjenige mit der strengsten Auslegung des Persönlichkeitsrechts, der die meisten "Bauchschmerzen" damit hat, andere zu fotografieren, selber komplett gegen seine Regeln verstößt und sogar heimlich knipst, wenn das Motiv interessant genug ist. Und Du hast zwar nachher Deine Probleme damit, das Bild veröffentlichst Du aber trotzdem.
Das soll jetzt kein persönlicher Angriff sein. Ich glaube das dokumentiert einfach ganz gut, den Unterschied zwischen der reinen Lehre und der Praxis. Die Versuchung, eine bestimmte Szene oder ein bestimmtes Motiv zu knipsen, auch wenn man damit gegen die eigenen Regeln verstößt, kann manchmal sehr groß sein.