4.Tag 3.7.2013, MittwochAuch wenn es gestern spät ins Bett ging sind wir dann doch um 8 Uhr schon wieder unter der Dusche, denn es steht ja heute Mittag schon die nächste Bootstour an.
Beim Frühstück und dem Blick aus dem Fenster staunen wir darüber, daß die Bucht, die gestern noch voller Eisstücke war heute fast wie leergefegt ist. Als ob ein Riese alles zusammengekehrt und die Eisstücke dann weggeworfen hätte.
Ob das für unsere Bootstour nun gut oder schlecht ist können wir noch nicht beurteilen.
Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen zusammen, ziehen uns wieder warm an, steigen den Holzsteg hinter unserem Apartment hinauf zur Straße und begeben uns erstmal zur Polizei.
Moment – keine Sorge – wir sind nicht über Nacht ausgeraubt worden oder ein Schlittenhund hat uns in den Fuß gebissen – nein, ganz harmlos – die Polizeiwache ist einfach nebendran und wir haben ausgemacht, uns dort vom Touranbieter abholen zu lassen.
Der Van fährt eine kleine Runde durch den Ort und sammelt noch ein russisches Paar auf, bei dem die Frau so derart in ein Parfümfaß gefallen ist, daß wir umgehend das Fenster runterkurbeln müssen um die Schnappatmung wieder in gesündere Bahnen zu lenken. Am Hotel Arctic sammeln wir noch das deutsche Paar auf mit dem wir gestern die Tour gebucht hatten – so sind wir komplett.
Gegen 11 Uhr startet der kleine Motorsegler hinaus aufs Meer zu den Eisbergen und wie sich nun herausstellt ist die von den kleinen Eisstücken befreite Bucht ein Glücksfall – denn dadurch kommt das Boot so gut voran, daß wir anders als gestern bis zum Kangia Fjord vordringen können.
Diesmal sehen wir also noch größere Berge und kommen vor allem noch näher an sie heran.
Überhaupt gefällt uns diese Tour heute richtig gut. Die Fahrt ist noch abwechslungsreicher als die vom gestrigen Abend, ständig kommen neue große Eisberge in Sicht ....
... und der Kapitän lässt das Boot auch zweimal so nahe an einen kleinen Eisberg herantrudeln, daß wir Stücke vom Eis abbrechen und am Eis lecken können.
Das Wetter ist heute wieder traumhaft schön – heiße 14 °C sorgen für richtige Bräune – also wer will da schon nach Malle wenn er das auch in Grönland haben kann.
Angesichts dieser Eiswelten – heute natürlich schwer vorstellbar, dass Grönland – englisch „Greenland“ im Mittelalter ein tatsächlich grünes Land mit deutlich wärmerem Klima gewesen sein soll. Die sogenannte „kleine Eiszeit“ vom 15. bis zum 19. Jahrhundert sorgte allerdings dafür, daß die einige Zeit lang hier ansässigen Wikinger, die aus Island und Skandinavien hierher kamen wieder verschwanden und sich durch kalte Winter und niederschlagsreiche kühle Sommer viele Gletscher bilden und ausdehnen konnten.
Und so sahen diese wüsten Gesellen damals aus.
Eiswasserfall
Bevor wir uns wieder in unserem Apartment ausdehnen können, kaufen wir im Ort Kuchen und Getränke ein.
Am „gelben Haus nicht am Eaton sondern am Ice Place“ gibt es erstmal Kaffee und Kuchen auf unserer Veranda und danach gehen wir mal einen Stock höher um uns mal bei unserem Vermieter Uffe zu melden dem wir bisher noch gar nicht begegnet waren.
Uffe ist Däne und hat sich schon so weit assimiliert, daß er typisch grönländisch im Sommer zeitversetzt lebt – es ist nachmittags um 3 und wir haben ihn gerade aus dem Bett gehauen.
Wir plaudern mit ihm und erzählen, daß wir gestern zum Kangia Fjord gewandert sind und er gibt uns den Tipp, dass es von dort irgendwie eine Abkürzung, einen Shortcut zu dem Weg gibt den wir am ersten Abend entlang der Bucht gelaufen wären.
Beim Thema Laufen fallen mir unsere von gestern immer noch schweren Beine ein – man ist halt nicht mehr der (bzw. die ) Jüngste.
Wir sitzen noch eine Stunde in der Sonne und genießen den Panoramablick auf die Eisberge danach geht es auf eine Runde durch den Ort.
Wir kaufen für das Abendessen ein und beobachten grönländische Kinder beim Fußballspielen auf dem Sportplatz neben dem Supermarkt.
88 % der Bevölkerung gelten als Grönländer, der Rest ist meist europäischen Ursprungs.
Grönland hat eine der höchsten Selbstmordraten der Welt, was nicht nur an den langen dunklen Wintern ohne Sonne sondern auch an dem anderen Stellenwert den Suizid in der Inuitgesellschaft hat, begründet liegt.
Auch Alkoholismus ist ein großes Problem - die meisten Straftaten wie Körperverletzung und Totschlag werden unter Einfluss von Alkohol begangen.
Auch wenn in Ilulissat dank Tourismus die Dinge besser liegen als anderswo sieht man auch hier Sozialwohnungsbaracken die erahnen lassen,
dass die grönländische Regierung noch viel Arbeit vor sich hat.
Immerhin - auch wenn der Ort für uns angenehm untouristisch erscheint – es herrscht eine rege Bautätigkeit – die befürchten lässt – daß es mit dem Tourismus aufwärts geht – gut für Ilulissat (oder wahrscheinlich wieder nur gut für die wenigen Ausländer die hauptsächlich daran verdienen) schlecht für Individualtouristen wie uns, die in 5 bis 10 Jahren sicher andere Verhältnisse vorfinden werden als heute – mal immer vorausgesetzt, es ist dann noch Eis zum bestaunen da.
Das ist grönländisch und heißt soviel wie "wir begrüßen die Mitglieder des Eumerika-Forums, dem Reiseforum für Europa, Amerika & mehr"
Sehr aufmerksam.
Wieder zurück werfen wir den Küchenbetrieb an. Auf dem Tellerchen das zum Abendessen wieder in der Sonne Grönlands auf den Tisch auf die Veranda darf landen heute Thunfischsteaks, dazu kredenzt die Küchenchefin Kartoffeln sowie einen Tomaten-Gurken-Salat.
Wohl bekomm's.
Das erste Bierchen des Tages darf jetzt um halb 8 auch endlich die Gurgel hinab rinnen.
Mehr als ein zweites Bier gibt es aber nicht – denn das soll es mit dem Tag noch nicht gewesen sein.
Wir wollen noch einmal zum Kangia Fjord.
Diesmal sparen wir uns aber den kraftraubenden Anstieg durch den ganzen Ort hinauf zum alten Heliport, rufen ein Taxi und lassen uns für eine Handvoll Euros (bzw dänische Kronen) hinaufschaukeln.
Ich hatte vorher extra am Telefon gefragt, ob wir mit Karte zahlen können.
Nun schiebt die Taxifahrerin meine Kreditkarte allerdings derart grob in das Kartenlesegerät als ob man durch größeren Kraftaufwand beim Hineinwuchten vielleicht mehr Geld erzielen könnte.
Ergebnis – das funktioniert nicht. Weder mehr Geld noch überhaupt Geld.
Die gute Frau wiederholt das Ganze in ähnlich geschmeidiger Form noch einige Male, bevor meine in Kunststoff gegossene Kreditwürdigkeit gänzlich zersplittert dann auch mal im Wechsel mit Petras Karte. Allerdings, wie zu vermuten war, auch diese wird auf dieselbe Art malträtiert was auch ihrem Kärtchen scheinbar nicht ausreichend genug gefällt, um im Zusammenspiel mit dem Lesegerät, das wahrscheinlich irgendwann aus dem Nachlaß von Al Capone bei Ebay ersteigert wurde, um dann über Umwege (vielleicht als Treibgut) nach Ilulissat zu gelangen, seinen Dienst zu tun.
Zum Glück haben wir aber noch gerade soviel Bargeld dabei um die Fahrt bar bezahlen zu können – sonst würden wir wohl heute noch in dem Taxi sitzen und der Dame dabei zusehen wie sie unsere Kreditkarten in einem Lesegerät schreddert.
Vom Heliport gehen wir endlich den Holzbohlenweg ...
... bis zu den Felsen ...
... und steigen auf den Aussichtshügel über den Fjord auf.
Einfach ein wundervoller erhabener Anblick.
Genau wie meine Jackenwahl, bei der ich stilsicher zu der Farbe der Trailmakierung gegriffen habe.
Vor 1000 Jahren sah das hier alles noch ganz anders aus.
Um 875 entdeckte der Norweger Gunnbjørn die Insel und nannte sie Gunnbjørnland. 982 musste Erik der Rote aus Island fliehen und landete schließlich im Südwesten Grönlands. Er gab der Insel ihren Namen Grænland (altnordisch für „Grünland“), was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass aufgrund der mittelalterlichen Warmzeit im Küstengebiet eine üppigere Vegetation entstehen konnte.
Bei dem Anblick den wir hier und jetzt haben wäre er wohl gleich wieder weiter gezogen – so unterschiedlich motiviert waren die Grönlandbesucher hier über die Jahrhunderte.
Wir sind zwar auch gut motiviert aber es ist inzwischen schon 23 Uhr, windig und kalt – Zeit sich von diesem Anblick zu lösen und den Heimweg anzutreten der uns ja mangels Bargeld noch einmal zu Fuß durch den Ort führen wird was wir aber sowieso so vorhatten.
Natürlich wird das Licht gegen Mitternacht erst perfekt aber jetzt hier in der Kälte noch so lange aushalten – das ist uns jetzt doch etwas too much.
Wir gehen den Holzbohlenweg zurück.
Während Petra vom Weg noch eine Aufnahme macht und dabei etwas Zeit braucht entdecke ich einen Trampelpfad und mir fallen wieder Uffes Worte von einem Shortcut zum anderen Weg vom ersten Abend mit der gelben Markierung ein.
Ob dem tatsächlich so ist ?
Keine Ahnung, aber jetzt wo die Idee mal da ist ….
Petra hat nun die 200 Meter aufgeholt. Die deutliche Skepsis über meinen eigentlich völlig ins Blaue geschossenen Vorschlag kann ich Petra an der Nasenspitze ansehen – aber nach einigem guten Zureden stapft sie schließlich mit mir los.
Immerhin müsse man dann ja nicht wieder den gleichen Weg zurück durch den Ort und könne das schöne Licht an der Diskobucht genießen, waren dann doch gute Argumente. Weniger gut ist, daß sich der Trampelpfad schon bald im Nirgendwo verliert.
Ausblick auf den Holzbohlenweg nach dem ersten Aufstieg durch die Felsen.
Wo wir ungefähr hin müssten, also die grobe Richtung ist uns klar - aber es geht über Stock und Stein und auch ein paar kleine Klettereinlagen sind zu absolvieren und hmm.... Mist, absolut keine gelbe Markierung oder Weg in Sicht.
Lange können wir nicht mehr so weitergehen. Es geht auf Mitternacht zu, wir sind natürlich völlig alleine auf weiter Flur und überhaupt - viel Flur und ganz wenig (gar kein) Weg.
Im Telebereich meiner Kamera glaube ich etwas Gelbes in der Ferne ausmachen zu können. Ich rede es mir wenigstens ein und feure Petra damit noch einmal an.
Wieder geht es quer durch die Botanik und über diverse Steine und Geröll und tatsächlich – in 200 bis 300 Meter Entfernung kann ich eine gelbe Markierung auf einem Felsen erkennen – das muss der gesuchte Weg sein.
Ich winke freudestrahlend Petra hinter mir zu, daß ich etwas entdeckt habe und stürme voraus.
Ja – das ist der Weg. Mir fällt nicht nur ein Stein vom Herzen sondern ein ganzes Gebirge.
Das hätte übel werden können – dieses Querfeldeingehatsche wieder komplett zurück plus Weg zum Heliport plus einmal hinab und durch den Ort.
Aua. Aber jetzt ist ja alles gut.
Daß das geklappt hat verleiht noch einmal Flügel – ich stürme voran und erreiche die Abbruchkante der Felsen ...
... die mich auf die Diskobucht und die Eisberge blicken lassen.
Ich muss mich zügeln um nicht einen 3 Meter Sprung in die Höhe zu machen.
Jede Anstrengung ist vergessen. Euphorie und dieses besondere Gefühl wenn man auf einer Reise etwas ganz Besonderes erlebt, an einem ganz besonderen Ort steht macht sich breit und schlägt seine Wellen über mich.
Inzwischen ist auch Petra herangelaufen und wir blicken gemeinsam hinab auf die in gelbes Licht getauchten Eisberge und die roten Boote die durch die Bucht gleiten.
Das Eis schimmert als ob es aus Gold wäre und die Sonne tut so, als ob sie im Meer versinken würde – was natürlich nicht passiert. Zwei Monate, von Mitte Mai bis Mitte Juli geht die Sonne hier nicht mehr wirklich unter.
Jetzt laufen wir beide noch einmal zu Höchstform auf – wir wollen unsere Erinnerungen auch in digitaler Form festhalten.
Jetzt wo wir auf dem offiziellen Weg gelandet sind ist er auch wieder angenehm zu gehen und so genießen wir trotz Müdigkeit und später Stunde (es ist schon gut nach Mitternacht) jeden Meter, ...
... bis irgendwann wieder der Ortsrand und das Kraftwerk erreicht ist.
Das Kraftwerk könnten wir jetzt auch für uns gebrauchen denn unsere Kräfte sind nun doch ziemlich erlahmt.
Aber wir sind einfach richtig glücklich über den Tag und vor allem diesen Abend, daß wir zurück am Apartment nicht gleich ins Bett können und selbst hier noch einmal zur Kamera greifen.
Wir setzen uns mit unseren Jacken auf die Veranda und gönnen uns einen GinTonic auf diese letzten Stunden – die uns obwohl strahlend schön auf Wolke Sieben hinauf katapultiert hat.
Wir blicken noch eine halbe Stunde auf die nur wenigen Eisberge und Stücke die heute in der Bucht verblieben sind und fallen irgendwann nach 2 Uhr schließlich in unser Bett – was für ein Tag.
Übernachtung: Apartment von Uffe Bang
Bild des Tages:
Kommt Euch vielleicht bekannt vor