SA, 27.10.: Udaipur to VaranasiEin wieder mal fremdländischer Tag, gespickt mit sehr viel Moderne. Heute ist der Ortswechsel per Flugzeug angesagt. Es geht mit Jet Airways über Delhi nach Varanasi, und ich bin wahnsinnig gespannt auf diese Stadt!
Morgens um vier klingelt in kurzer Folge gleich drei Mal das Telefon: Weckanruf vom Fahrer, vom Hotel und aus Deutschland, wo es jetzt 00.30 Uhr ist. So eine Angst habe ich zu verschlafen. So aber weiß ich nun, dass auch Anil wach ist und mich pünktlich um 5 Uhr abholen wird. Er steht bereits um 4.30 bei mir vor der Zimmertür. Wir schleichen durch das Hotel, in dem überall in den Sitzecken die Angestellten unter Decken liegen und schlafen.
Wir fahren etwa eine halbe Stunde durch das noch stockdunkle Udaipur zum Flughafen. Mir ist ein bisschen schlecht. Erstens ist es mir noch viel zu früh, zweitens habe ich ein bisschen Schiss vor dem nun Kommenden auf mich allein gestellt, drittens habe ich wohl irgend etwas gestern Abend nicht so gut vertragen, aber das ist alles nicht so schlimm.
Auf dem Weg zum Flughafen erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit dem Land, an die Fahrt vom Airport in Delhi in die Stadt. Hier wiederholt sich so einiges. Irgendwie sind noch oder schon im Stockdunklen Leute unterwegs, Männer stehen um Feuer herum. Da es hier wirklich kühl ist, denn es ist in den letzten Tagen nachts merklich abgekühlt, freue ich mich über ein langärmeliges Shirt, das ich anhabe, während die Locals hier mit Mütze und Winterjacke unterwegs sind.
Unterwegs ein Unfall und ich erinnere mich an die Schilderung mit der Lynchjustiz. Trotz der frühen Stunde hat sich um den vorne stark demolierten LKW eine große Menschentraube versammelt. Wer oder was noch beteiligt war, ist nicht zu erkennen.
Kurz vor dem Flughafen tauchen am stockdunklen Straßenrand drei junge Männer beim Frühsport auf. Sie laufen. Daran übrigens habe ich seit meinem ersten Versuch in Agra keinen Gedanken mehr verschwendet.
Am Airport geht alles schnell. Hier darf ich nur mit Ticket rein, Anil verabschiedet mich also beim Aussteigen am Auto. Eine schnelle Umarmung und eine Aufmerksamkeit für ihn. Er hatte vor einigen Tagen mal gemeint, er brauche noch eine kleine Tasche für sein Rasierzeug, also auf gut Deutsch einen "Kulturbeutel", oder auf Neudeutsch einen "Waschsalon". Einen solchen habe ich in Udaipur bei meiner riesigen Runde durch die Stadt erstanden und mit einer Schachtel Marlboro und seinem großzügigen Trinkgeld bestückt, von dem er mir später per Skype mitteilt, dass sein Kollege neidisch gewesen sei. 9000 Rupies für gut zwei Wochen scheinen also viel zu sein...
Es geht alles fix an diesem modernen Flughafen, und der Sicherheitscheck wird wirklich ernst genommen. Es bleibt noch Zeit für einen Kaffee und einen Schokobrownie zum Frühstück und los geht es auf die Minute pünktlich, zunächst nach Delhi.
Hier trifft mich nach der vielen Kultur, dem vielen Schmutz, dem vielen Urindischen eine Art Kulturschock ob des Marks and Spencer, der modernen Apotheke, des Costa Cafés, der gut sortierten modernen Buchhandlung. Ich bin ein bisschen beruhigt, als ich am Gate eine Kakerlake am Hosenbein meines Gegenübers hinaufkrabbeln sehe. Ich bin also doch noch in Indien!
Weiter geht es mit leichter Verspätung nach Varanasi, und schon beim Aussteigen trifft mich der zweite Kulturschock des Tages und der erste echte Indienkulturschock, mit dem ich gar nicht mehr gerechnet habe. Varanasi ist eine Pilgerstadt, eine der ältesten Städte der Erde, wenn nicht gar DIE älteste Stadt der Erde. Und so kommen mit mir offenbar Pilgergruppen aller möglichen Kulturen an, ein buntes Menschengewimmel herrscht.
Das Surya Hotel holt mich ab, schickt mir einen spindeldürren kleinen Inder mit nettem Lachen, der mich gekonnt erst durch die sehr grünen Außenbezirke fährt, dann durch die staubig-trockene Stadt.
Ich checke erst ins Hotel ein, dann mache ich es mir am Pool bequem. Ich habe mir für diesen Urlaub vorgenommen regelmäßig zu essen und ausreichend zu trinken, was bei mir im Urlaub oft zu kurz kommt, denn Indien ist anstrengend genug- In Rajasthan hat Anil darauf geachtet, und nun merke ich, dass Cola und ein Happen und ein Nickerchen in der Sonne gut tun. SMS von Anil, ob ich gut angekommen bin und alles OK sei. Er selbst hat wohl etwa die Hälfte seiner mindestens 12 Stunden dauernden Fahrt zurück nach Delhi hinter sich.
Nach einer Dusche mache ich mich um 16 Uhr auf den Weg in die Stadt. Das Abenteuer Transport steht mir noch bevor, aber - nicht völlig unerwartet - stürmen gleich ein Tuk Tuk Fahrer und ein Cycle-Rikscha-Fahrer auf mich zu. 200 Rupies für ein Tuk Tuk finde ich frech, aber einen Hunderter für eine Cycle-Rikscha gebe ich gerne aus. Ohne Dach und in gemächlichem Tempo bekommt man von der Fahrt vieles mit.
Der Fahrer setzt mich am Endpunkt ab, den er mit der Rikscha befahren darf, rein zufällig kommt sein Freund vorbei, der selbstverständlich kein Guide ist und mir nur die Stadt zeigen will, damit ich keinem bösen Menschen auf den Leim gehe. Na prima! Ich entscheide, dass der Fahrer vielleicht doch besser nicht auf mich wartet, drücke ihm den vereinbarten Hunderter in die Hand und mache dem wohlmeinenden Freund etwas unwirsch deutlich, dass ich meinen Weg allein fortsetze.
Krass, der Verkehr hier. Krass die vielen merkwürdigen Gestalten, je näher ich den Ghats komme. Alles, was ich ansonsten in Indien nur vereinzelt gesehen habe, finde ich hier in geballter Ladung: Alte Leute, "komische Heilige", wunderschöne Hindupriester, profane Geschäftemacher und natürlich Bettler ohne Ende.
Mein erster Blick auf die Ghats ist beeindruckend, aber nur erst der Anfang. Im goldenen Nachmittagslicht laufe ich flussaufwärts, komme an Palästen und Tempeln vorbei, muss mir immer wieder meinen Weg über die Treppen suchen. Haufen von Unrat, das milchige Wasser vermischt sich mit dem Dreck an vielen Stellen zu Matsch, was viele nicht davon abhält hier ungerührt barfuß durchzuwaten oder direkt neben dem Dreck ein erquickendes Bad zu nehmen, igitt!
Andererseits herrliche Farben im Spätnachmittagslicht, malerische Gestalten, viele Badende, der Duft von Räucherstäbchen, moderne Musik, die Muezzine, Tempelglocken, aus der Ferne Hupen und Klingeln von Motorrädern und Fahrrädern, der sanft dahinfließende Fluss. Ich werde immer wieder angesprochen von Menschengrüppchen, die artig fragen, ob ich mich mit ihnen gemeinsam fotografieren lasse. Was die können, das kann ich auch. Ich fotografiere viel.
Als es dunkel wird, mache ich mich auf zum Hauptghat, wo ich auch angekommen bin. Mit der Dunkelheit beginnt hier die Abendzeremonie. Für diese stehen eine Reihe von wunderschönen Priestern in prachtvollen Gewändern auf kleinen Podesten. Mit Musik, Feuer, dem Duft von Sandelholz, Glocken und Kerzenschein beginnt ein buntes Szenario, dem außer den relativ wenigen ausländischen Touristen vor allem und mit Andacht Inder folgen.
Am Ufer werden Schalen aus Blättern mit Blüten und einer Kerze verkauft, die von den Gläubigen aufs Wasser gesetzt werden. Viele verenden schon im Gewimmel zwischen den Booten, aber später kann ich beobachten, wie in der Ferne auf dem Wasser das eine oder andere Licht flussabwärts treibt.
Ich bin völlig geflasht von dieser Stadt, der spürbaren Magie, völlig fasziniert und trotzdem hin- und hergerissen. Heftig, herrlich und herausfordernd. So etwas habe ich noch nie gesehen!
Nach der Zeremonie suche ich mir ein Lokal. Ich habe keine Lust auf Essen im Hotel. Das Rashmi Guesthouse sticht mit seinem Rooftoprestaurant ins Auge und sieht sehr ordentlich aus. Noch ein bisschen Blick ist mir recht und so genieße ich ein Curry mit Bier, anschließend einen Lemon Sugar Pancake und einen Mangolassi. Wohltuend, in diesem gepflegten Ambiente ein bisschen Abstand zu gewinnen. Varanasi in kleinen Dosen zu genießen, ist sicher kein schlechter Gedanke.
Ein bisschen mehr als sonst passe ich heute unterwegs auf. Auf dem Rückweg zu der Stelle, wo ich eine Rikscha oder ein Tuk Tuk anheuern kann, sind nur noch Inder unterwegs, allerdings immer noch sehr viele, die Geschäfte schließen so langsam. Tja, Indien ist wohl wirklich kein Land zum Bummeln für Nachtschwärmer.
Wieder wird mir ein teures Tuk Tuk angeboten und eine erschwingliche Cyclerikscha. Der Fahrer kündigt aber an, dass er wegen der Umleitung noch "good bakshish" will. Schon beim Annähern an diese Stelle werde ich von jemandem angesprochen. Er weiß, dass ich alleine hier bin und aus welcher Richtung ich gekommen bin auf dem Hinweg. Ich will gar nicht so genau wissen, was hier hinter den Kulissen so abgeht, und welche Argusaugen mich sonst noch so beobachten, wenn es um die Frage geht, ob man ein bisschen Geld verdienen kann.
Jedenfalls komme ich heile am Hotel an, lasse mich im Garten von den Mücken zerstechen und räche mich an ihnen, indem ich sie betrunken mache mit dem Tom Collins, den ich dann im Blut habe. Ich hoffe auf einen spannenden folgenden Tag.