Hallo zusammen,
ich war gerade zum ersten Mal in meinem Leben drei Tage auf der Documenta in Kassel. Vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen hier im Forum. Ich bin zwar kein Kunstkenner aber in Museen gehe ich ganz gerne und die Documenta, die weltweit wichtigste Ausstellung moderner Kunst (so steht es jedenfalls in den Zeitungen), die ja nur alle 5 Jahre stattfindet wollte ich in meinem Leben mal sehen. Mein Freund war schon mal beruflich in Kassel und bekam eine Werbemail vom Hotel wo er damals genächtigt hat. Das Schloßhotel Wilhelmshöhe in Kassel bot ein Documentapaket mit Eintrittskarten und weiteren Vergünstigungen an, okay das war jetzt wirklich nicht billig, aber ein Schloßhotel hat eben was
Die Zugverbindung mit dem ICE von München aus ist hervorragend, in ziemlich genau 3 Stunden ist man dort, mein Freund hat außerdem eine Bahncard und hat die Karten online gebucht. Ein paar Tage bevor es losgehen sollte hat sein Chef meinen Freund verdonnert eine Woche Vertretung in Kassel zu übernehmen (ein Kollege ist ausgefallen), dann würde ich eben allein zurückfahren und mein Freund kann abends noch eine Woche Documenta gucken. Hätte schlechter kommen können
Am Freitag Vormittag gings los. Im Zug haben wir dann die Schaffnerin gefragt wie ich mich auf der Rückfahrt wenn ich alleine bin ausweisen soll. Vor ein paar Jahren hatten wir mal die gleiche Situation, damals mußte man die Kreditkarte vorzeigen mit der die Reise bezahlt worden war. Die Schaffnerin meinte aber nein wenn derjenige der das Ticket gebucht hat nicht dabei ist ist das Ticket ungültig WIE BITTE??? Auf unsere entsetzte Nachfrage dass das ja wohl nicht sein kann meinte sie wir hätten das Ticket stornieren müssen und ein neues buchen müssen für mich alleine. Das einzige was wir vielleicht machen könnten wäre in Kassel zum Reisezentrum zu gehen und zu fragen ob sie mir einen Stempel auf das Ticket geben so dass es auch für mich gültig ist, aber eigentlich ginge das nicht. Oh Mann das war natürlich ein Sparpeisticket, da hätte ich jetzt ein Normalpreisticket für gut 100 € kaufen dürfen, das habe ich ja überhaupt nicht eingesehen.
In Kassel angekommen sind wir zum Infostand der Bahn gegangen und haben der jungen Angestellten erklärt dass sie meinen Namen nebst einem Stempel auf das Ticket schreiben soll. Sie war etwas überfordert, diese Vorgehensweise kannte sie nicht aber wir haben ihr gesagt dass die Schaffnerin im Zug uns angewiesen hat genau das zu machen (das das nur vielleicht geht habe ich vergessen zu erwähnen..), also hat sie brav den Namen von meinem Personalausweis abgeschrieben und einen Stempel auf das Ticket gehauen. Vielen Dank
meine Laune war gleich wieder besser.
Vor dem ICE Bahnhof Wilhelmshöhe gibt es neben den üblichen Intercity und sonstigen Hotels auch dieses Schmuckstück hier
keine Ahnung ob das im Rahmen einer Dokumenta entstanden ist (es gibt etliche Außenkunstwerke von früheren Documentas in Kassel) aber das ist jedefalls das witzigste Hotelschild das ich bisher gesehen habe. Fängt ja schon mal gut an.
mit der Tram 1 ging es dann erst mal in unser Hotel, von der Endhaltestelle der Tram muss man noch 10 Minuten den Berg rauflaufen zum Hotel das mitten im Schloßpark liegt. Das Hotel ist ein Bau aus den 50er Jahren und wirkt daher auch schon ein bisschen retro aber sehr schick. Wir bekamen ein schönes Zimmer mit Balkon, haben uns Kaffe gemacht (eine Kapselmaschine war im Zimmer) und sind dann gleich wieder mit der Tram ins Zentrum gefahren. Dort steht am Friedrichsplatz das Aushängeschild der Documenta 2017: Der Parthenon der verbotenen Bücher:
es ist das Werk einer argentinischen Künstlerin und besteht aus lauter Büchern die irgendwo auf der Welt verboten sind oder waren. Die Künstlerin hatte um Buchspenden gebeten und das Werk ist noch im Bau
für den Freitag Nachmittag hatten wir keine Eintrittskarte, für die Werke die im Freien aufgestellt sind braucht man die auch nicht. Innen im Parthenon:
angeblich ist er genauso groß wie das Original auf der Akropolis.
Wir fanden das sehr beeindruckend. Und wenn man sich anschaut was alles zu verbotenen Büchern erklärt wurde glaubt man es kaum. An der Stelle wo der Parthenon steht haben die Nazis im dritten Reich eine Bücherverbrunnung durchgeführt. Der Platz ist also sehr passend gewählt.
wer bitte verbietet das Tagebuch der Anne Frank? Leider gab es dazu (jedenfalls nicht vor Ort) keinerlei Informationen, aber die Liste würde mich wirklich interessieren. Bei Harry Potter habe ich die katholische Kirche in Verdacht.
am anderen Ende des Parthenon. Kassel liegt auf Hügeln, hier geht es leicht den Hang runter.
Das Wetter war zum Glück besser als angesagt und so haben wir uns in ein Cafe neben den Parthenon gesetzt. Man merkt dass Kassel diese Veranstaltung schon seit Jahrzehnten macht, es gab überall Imbisstuben und Cafes, Tische und Bänke, man mußte weder auf einen Platz noch einen Kellner lange warten.
Auch die Polizei ist mit mobilen Einheiten vertreten (der Wagen hat mich jetzt an China erinnert)
sieht irgendwie lustig aus fand ich. Die Stimmung war insgesamt super entspannt, am Samstag habe ich einmal 2 Polizisten über den Platz laufen sehen, mehr Polizei war nicht.
Für Sicherheit wurde aber schon gesorgt wie man an den Betonabsperrungen sieht die eine vierspurige Straße vom improvisierten Bürgersteig abtrennt. Ich glaube nicht dass es so eine Absicherung bei der letzten Documenta auch schon gab.
zwei Kunstwerke am Sinn Leffers neben dem Parthenon
oben drauf die Skulptur "die Fremden" von einer vorherigen Dokumenta
die Plakate sind Teil der Dokumenta 2017
wenn man die Straße mit den Betonabsperrungen überquert gelangt man auf den Platz vor dem Staatstheater wo ein weiteres Außenkunstwerk steht. Es ist das Werk eines syrischen Künstlers, der sich auf seiner Flucht in solchen Wasserrohren versteckt hat.
Von Kunststudenten wurden die Wohnröhren ausgestaltet:
Blick von einer Anhöhe auf das Kunstwerk
vom selben Standpunkt der Blick nach links
hinter den Wasserröhren geht es hinunter zu den Karlsauen, einem großen Stadtpark an der Fulda. Am Abhang steht dieses Kunstwerk einer früheren Dokumenta:
begehbare Kunstwerke mag ich
dann gingen wir runter zu dem Park, hier sollte noch ein Werk aus einer früheren Dokumenta stehen.
es war zum Glück leicht zu finden mitten auf einer großen Wiese
Der Baum ist aber aus Metall nicht aus Holz (sonst wäre er mitlerweile bestimmt auch schon unter dem Stein zusammengebrochen)
danach sind wir durch den Park zu dem Schloß spziert. Es beherbergt heute ein astronomisch-physikalisches Museum und wurde gerade geschlossen als wir ankamen (es gehört nicht zur Documenta)
Vor dem Schloß steht aber noch ein Werk der Documenta 2017:
das Kunstwerk ist ausnahmsweise gut beschildert:
danach hat es uns erst mal gereicht und wir haben uns auf den Rückweg gemacht. Auf dem Weg zur Tram geht es durch die Fußgängerzone mit den überall gleichen Geschäften. Auf dem Kaufhof oben sah man Leute stehen auf dem Dach, da hat man bestimmt einen guten Blick auf die Stadt, also rein in den Kaufhof. Da standen auch überall Hinweisschilder auf die Dachbar im 6. Stock. Da oben ist normalerweise das oberste Parkdeck, davon war ein Teil in eine urige Dachbar umgewandelt und der Blick war wirklich gut:
Der weiße Rauch den man sieht ist auch ein Kunstwerk
zum hinsetzen hat die Zeit nicht mehr gerreicht, wir hatten für den Abend einen Tisch im Hotelrestaurant gebucht, ein Abendessen war Teil des gebuchten Documenta-Pakets.
Rechts und links der Wilhelmshöher Allee die zum Schloß und Hotel führt steht rechts und links der Straße die Torwache, im Zuge der Documenta verhüllt:
an der Hauptstrasse auch wieder mit Betonabsperrungen geschützt. Schon ärgerlich dass sowas nötig ist, auf dem Foto sieht das wirklich sch... aus.
Kaum saßen wir in der Tram fing es zu regnen an. Perfektes Timing!
Zum Abendessen im Hotel gab es ein großes Buffet, wir haben geschlemmt
was das kostet wenn man es bezahlen muss möchte ich lieber nicht wissen angesichts der 7,90 € die wir für die Flasche Wasser berappen mußten (dafür bekommt man in Kreta schon ein einfaches Abendessen...) für den nächsten Abend werden wir uns jedenfalls ein normales Restaurant raussuchen.
Das Frühstücksbuffet am nächsten Morgen war genauso klasse, vorher waren wir im Hotelpool schwimmen, es hätte sogar einen Außenschwimmteich gegeben, dafür war es leider zu kalt. Das Wetter war heute etwas schlechter als gestern. Das war aber egal für heute hatten wir uns ja die verschiedenen Hallen und Museen der Documenta rausgesucht. Zunächst ging es in die neue Galerie das bekannteste Kunstmuseum (moderne Kunst) in Kassel. Für uns war leider nicht zu erkennen was zur Documenta gehört und was zur Daueraustellung, einige Objekte waren schon ziemlich alt wie diese beiden Bilder aus den 1960er Jahren
besonders schön auch diese Werke der amerikanischen Künstlerin Marilou Schultz
wir waren ziemlich lange im Museum und als wir rauskamen war es schon ein Uhr und eine kilometerlange Schlange vor dem Museum
damit hatte ich irgendwie nicht gerechnet. Man hat auch sehr viel englisch gehört und Asiaten waren auch unterwegs. Ins benachbarte Palais Bellevue sind wir vor allem deswegen reingegangen weil die Schlange hier sehr kurz war. Die meisten Austellungsstücke hier beschäftigten sich mit Krieg, Flucht und Vertreibung
ein Maschinengewehr aus Bauteilen einer Singer Nähmaschine
danach stellten wir uns in die Warteschlange vor die Dokumentahalle neben dem Theater. D.h. Josef stellte sich in die Schlange und ich stellte mich an der Gepäckaufbewahrung an weil ich meinen Rucksack in keine Ausstellung mitnehmen durfte. Da habe ich genauso lange gewartet wie Josef am Eingang. Gut dass er mir einen Platz freihalten konnte.
In der Halle war ein extremes Gedrängel, es war aber wirklich die interessanteste Ausstellung von allen.
Gleich am Eingang stand eine Sammlung von Masken und anderen Objekten die indigener Kunst nachempfunden sind
ein Frosch
danach der Raum einer Künstlerin die mir von der gesamten Documenta am besten gefallen hat (Miriam Kahn aus Basel), leider war es hier noch voller und fotografieren fast unmöglich
Im unteren Bereich den man von der Treppe aus fotografieren konnte die Werke eines Künstlers aus Dakar
und dann entlang einer gesamten Seitenwand ein teils gesticktes teils gemaltes Bild
wir fanden das absolut klasse!
Danach haben wir tapfer weiter gemacht und sind ins Fridericianum gegangen das ist das historische Gebäude neben dem Parthenon. Meinen Rucksack habe ich in der Aufbewahrung gelassen, das waren nur ein paar Minuten zu gehen und ich wollte mich nicht schon wieder anstellen. Leider fing es etwas zu regnen an, hat aber bald wieder aufgehört. Wir standen wieder so etwa 10 Minuten in der Schlange das ging also noch. Im Fridericianum ist derzeit eine Ausstellung aus einem Athener Museum für zeitgenössische Kunst untergebracht (Athen ist ja zweiter Standort der Dokumenta), hier habe ich nicht fotografiert weil mir das meiste nicht so zugesagt hat.
Danach waren wir echt platt und kunstgesättigt
zu unserem Übernachtungspaket gehörte noch ein 20 € Gutschein für die Königsgallerie (eine Mall im Zentrum), dort haben wir uns in einen asiatischen Imbiss gesetzt, der Gutschein hat genau für 2 Essen und 2 Getränke gereicht. Danach haben wir uns noch in ein Cafe mit Blick auf den Parthenon gesetzt, das Wetter war deutlich besser geworden.
Anschließend waren wir weider fit und sind ein Stück durch die Stadt gelaufen zur Neuen Neue Galerie in der ehemaligen Hauptpost. Unterwegs sind wir an der Martinskirche vorbeigekommen deren Türme man vom Kaufhof aus gesehen hat. Ich nehme mal an dass die Kirche im Krieg zerstört wurde, die moderne Ergänzung der Türme finde ich absolut gelungen, das ist genau die richtige Kirche für eine Kunststadt
auch innen eine gelungenen Kombination aus alt und neu. Der Altarraum war von einem wabenartigen Betonskelett umgeben, komplett verglast, vielleicht um einen kleineren Raum zu erhalten den man besser heizen kann? Drinnen war auch noch eine zweite kleinere Orgel.
innen im verglasten Raum
dann gings weiter zur ehemaligen Hauptpost. Mit dem Dokumentaplan war sie leicht zu finden, Kassel ist eh nicht groß und es waren auch Schilder an den Straßen angebracht. Das Viertel um die ehemalige Post fand ich ziemlich gruselig, da waren nur noch arabisch beschilderte Geschäfte, Friseure, Shishaläden usw. deutsch waren nur die handvoll Dokumentatouristen in den arabischen Imbisbuden (die von den arabischen Männern mehr oder weniger blöd angeglotzt wurden). Das Viertel war mir unheimlich, abends möchte ich hier nicht langs gehen.
An der Halle angekommen gab es zum Glück nur eine ganz kurze Schlange, es wirkt mehr wie eine ehemalige Fabrikhalle. Auch hier gab es einige interessante Exponate wie dieser Vorhang aus Rentierschädeln einer norwegischen Künstlerin die damit gegen das Abschlachten der Tiere protestiert (die Regierung versucht die Zahl der Rentiere zu reduzieren)
Außerdem gab es hier ein absolut sehenswertes Video zum NSU (schade dass es nicht auf Youtube zu finden ist). Überhaupt gab es überall ganz viele Videoinstallationen, die habe ich natürlich nicht fotografieren können.
Danach hat es aber wirklich gereicht und wir sind ins Hotel zurück gafehren und haben uns ausgeruht. Zum Abendessen sind wir ins Restaurant "Duck dich" gegangen, die Deckenbalken hängen dort wirklich niedrig
es gab hervorragendes Steak, das Restaurant können wir empfehlen. An den Nachbartischen saßen kaum überraschend andere Documentabesucher mit denen wir uns angeregt unterhalten haben. Zum Hotel sind wir dann zu Fuß zurück gegangen, es war ein fünfundzwanzigminütiger Verdauungsspaziergang.
Vom Sonntag gibt es keine Bilder, wir haben den Schloßpark Wilhelmshöhe besichtigt mit seinen Wasserspielen, die sind aber gerade in Reparatur und der Blick wird durch zahlreiche Baukräne verschandelt. Die Restaurierung läuft noch bis 2018. Wenn das mal abgeschlossen ist sind Park und Schloß (Weltkulturerbe) definitiv einen Besuch wert.
Auf der Rückfahrt gab es im Zug zum Glück keinerlei Probleme mit dem Bahnticket, die Schaffnerin hat sich null dafür interessiert ob der Käufer des Tickets an Bord ist oder nicht.
Die Dokumenta läuft noch bis 17. September 2017 und ich finde ein Besuch lohnt sich