10. Tag – Donnerstag, 13.06.
Hauptziel des Tages ist der Patvinsuo Nationalpark. Für ungefähr 1h45 min geht es durch ländliches Gebiet in Richtung Norden. Als ich gegen 10 Uhr im Nationalpark ankomme, entlädt sich mal wieder ein heftiger Regenschauer. Ich fahre auf der wie üblich unbefestigten Straße durch den Park (diese unbefestigten Straßen lassen sich auch bei Nässe erstaunlich gut fahren, da hatte ich befürchtet, dass es rutschig werden könnte, das ist nicht der Fall) zum Parkplatz (Surkanpuro) für die von mir ausgesuchte Wanderung. Dort steht ein VW-Up aus EIC oder EI in Deutschland – wow, in so einem kleinen Auto den langen Weg von Thüringen oder Bayern nach Finnland zurückzulegen, ist sicher auch nicht die bequemste Reiseart.
Ich muss noch einige Zeit im Auto bleiben, bis der Regen aufhört. Dann steige ich aus – und werde von Mücken und noch schlimmer, Wespen (oder ähnliches) umschwirrt. Besonders diese Wespen sind richtig schlimm, sie stechen zwar wohl nicht, sind aber so zahlreich und aufdringlich, dass man beim Türe und vor allem Kofferraum öffnen, extrem schnell und vorsichtig sein muss, dass sie nicht ins Auto gelangen.
Ich ziehe schnellstmöglich meine Wanderschuhe an, ziehe das Kopfnetz über und gehe dann auf die Toilette (diese Trockentoiletten sind ja eh schon nicht sehr angenehm, stören mich im Normalfall aber nicht weiter, aber wenn so viele fliegende Insekten unterwegs sind, wird es richtig „nett“, denn die können ungehindert rein- und rausfliegen, während man sich selbst auf der Toilette sitzend kaum „wehren“ kann). Als ich wieder raus komme, steigt gerade aus dem VW-Up ein sicher 2 m Mensch aus (noch mehr Respekt für die lange Anreise im kleinen Auto) – komplett in einen Schutzanzug aus Mückennetz gekleidet (ob das wirklich so viel hilft, bin ich mir nicht sicher, da das Netz nicht auf der Haut aufliegen darf, sonst stechen die Mücken durch, das lässt sich beim Kopfnetz durch einen Hut bzw. eine Kappe darunter erreichen, bei „Jacke“ und „Hose“ aber nicht).
Ich starte meine Wanderung – nur schnell weg von den Wespen. Der Pfad führt durch lichten Wald zunächst parallel zur Parkstraße
und erreicht bald das Ufer des Suomunjärvi. Das Kopfnetz kann ich zum Glück abnehmen, es gibt kaum noch Insekten. Am See gibt es einen schönen Sandstrand (nicht künstlich aufgeschütteter, sondern natürlicher Sand, den die Eiszeitgletscher beim Abschmelzen durch die Fließbewegung vom Granitstein abgeschliffen haben), im Wald dahinter ist ein Rastplatz (Kurkilahti) mit Feuerstelle, Sitzbänken, Toiletten und Infotafel.
Ich lege eine kurze Pause ein und erfreue mich wieder an den Wolkenspiegelungen im Wasser.
Dann geht es weiter, nun weg vom See und durch den Wald. Bald wird aus dem Pfad ein Holzbohlenweg und ich stehe vor einer freien Moorfläche, die ich überqueren muss. Leider sieht der Himmel ziemlich bedrohlich aus und ich zögere eine ganze Weile, ob ich es wagen soll, weiterzugehen. Ein Gewitter im Wald ist ja schon nicht ungefährlich, aber im offenen Moor, wo ich im weiten Umkreis die höchste Erhebung bin, scheint mir noch risikoreicher. Eine blöde Situation und natürlich ist mal wieder weit und breit kein anderer Wanderer zu sehen (der Riese aus Bayern und ein Ehepaar, die auch am Surkanpuro Parkplatz waren, sind wohl einen anderen Weg gelaufen).
Schließlich entscheide ich mich weiterzugehen, entspannt Wandern ist aber was anderes, ich gehe so schnell wie es mit meinem Bein möglich ist, um vor dem möglichen Gewitter den nächsten Wald zu erreichen. Das gelingt mir auch und Zeit für ein Bilder mit den dramatischen Wolken nehme ich mir trotzdem.
Bald ist dann aber auch das nächste Waldstück zu Ende und ich stehe erneut vor einer offenen Moorfläche. Na ja, nun ist Umdrehen keine sinnvolle Möglichkeit mehr und ich gehe weiter. Der Wechsel zwischen Wald und Moor wiederholt sich noch öfter, das Wetter hält sich.
Vom Rundweg gibt es einen Oneway Abstecher zu einem Aussichtsturm, den ich gerne gemacht hätte, aber 3 km zusätzlich kann ich meinem Bein nicht zumuten und will es auch im Hinblick aufs Wetter nicht. Kurz nach dem Abzweig kommt mir der Mann aus Bayern und bald darauf das Ehepaar entgegen, die sind also die Runde andersherum gegangen, lassen sich aber auch nicht durch das Wetter abhalten.
Die letzten Kilometer bis zum Parkplatz führen nur noch durch Wald, es ist nicht mehr weit und so bin ich entspannt genug für eine kurze Mittagspause mit meinen belegten Brötchen auf einem Baumstamm. Hier entdecke ich einige fast reife Beeren (sind das die bekannten finnischen Moltebeeren?), die habe ich letztes Jahr nicht gesehen, dafür viel mehr Wollgras, das dieses Jahr häufig schon verblüht ist. Kurz vor dem Parkplatz donnert es, Glück gehabt.
Am Auto wechsle ich die Schuhe (die Wespen und Mücken sind immer noch da) und fahre dann ein paar Kilometer zum Parkplatz Suomo. Hier ist die Informationshütte des Parks mit Café, kleiner Ausstellung und Souvenirshop, sowie ein Zeltplatz und Hütten zum Mieten direkt am Seeufer. Ich schaue mir die Ausstellung (leider nur auf Finnisch) zu Fauna und Flora des Nationalparks kurz an, stöbere durch den Shop (finde aber nichts, es gibt leider keine T-shirts) und kaufe dann einen Kaffee und eine Pulla (Hefegebäck, manchmal eine Zimtschnecke, hier ein Stück Hefezopf) (EUR 5,00).
Dann fahre ich nochmal zum Rastplatz mit Sandstrand am See (Kurkilahti), an dem ich vorhin bei der Wanderung vorbeigekommen bin. Ich möchte mich eine Weile am Strand in die Sonne setzen. Daraus wird leider nichts, denn als ich aussteigen will, beginnt es wieder zu Regnen. Wieder mal nur ein kurzer Schauer, den ich geduldig im Auto abwarte. Die Sonne scheint bald wieder, aber nun sind der Sand und jegliches Holz (Baumstämme, Bänke) auf das ich mich setzen könnte, nass (das war ja eigentlich klar). Schade, schade, das wird nichts mit der Sonnenpause am Seeufer.
Nun gut, eine weitere Wanderung ist mit meinem Bein nicht möglich, ich entscheide mich daher gegen 15.15 Uhr den Park zu verlassen und ein weiteres Ziel anzusteuern.
Eine gute Stunde dauert die Fahrt zur Ausstellung der Holzkünstlerin Eva Ryynänen etwas außerhalb des Orts Paateri gelegen. Diese Ausstellung wird in allen Reiseführern, Reiseberichten, Tourismuswebsites usw. als sehenswert genannt, was mich genau erwartet, weiß ich aber nicht. Die letzten Kilometer geht es auf einer schmalen Schotterstraße durch den Wald und dann erreiche ich auf einer Lichtung einen erstaunlich riesigen Parkplatz, zum Glück stehen aber nur zwei, drei Autos da. Ich parke und kann etwas erhöht ein rundes Häuschen mit geschnitzten Holztüren sehen. Dorthin gehe ich nun. An einem Außenschalter zahle ich den Eintritt (EUR 10,00) und bekomme einen laminierten Flyer auf Deutsch (zum wieder zurückgeben), im Häuschen nutze ich die Toilette, es gibt außerdem ein schönes, helles Café und einen kleinen Souvenirshop.
Von diesem Eingangsbereich führt ein Fußweg durch lichten Wald leicht bergan. Oben angekommen sieht man drei Gebäude: eine Kirche, ein Wohnhaus und das Atelier von Eva Ryynänen.
Ich gehe als erstes zur Kirche und bin beeindruckt.
Schon von außen sieht sie wunderschön aus, gebaut mit Holz und ganz viel Glas. Im Innenraum bestehen Wände, Boden, Bänke und Altar aus Holz, durch die großen Glasfenster kommt sehr viel Licht herein. Die Kirche wurde von Eva Ryynänen selbst entworfen und mit Hilfe ihres Mannes Paavo und 2 Zimmerleuten aus dem Ort gebaut. Das Holz stammt von 300-500 Jahre alten Kiefern, die Eva aus Russland geschenkt bekommen hat, weil sie zu groß für den Gebrauch in der Forstwirtschaft waren. Das Holz der Türen ist aus Zedern aus Kanada. Das Altarholz stammt aus Finnland. Die Kirche wurde teilweise vom Ort Paateri (oder der nahegelegenen Stadt Lieksa?) finanziert, der auch Eigentümer der Kirche war und ist, auch weil Eva als Einzel-/Privatperson keine Kirche bauen durfte. Die Kirche wurde von 1989 bis 1991 gebaut und ist das größte Werk von Eva Ryynänen. Zwei Jahre nach der Kirche hat Rynnänen auch noch den Eingangspavillon samt Einrichtung entworfen und geschnitzt, schon damals gab es viele Besucher.
Als nächstes schaue ich mir das Wohnhaus von Eva und Paavo an. Von der Veranda vor der Haustüre hat man einen schönen weiten Blick auf den unterhalb fließenden Arm des Pielinensees.
Eva (1915 - 2001) wurde als Kind einer Bauernfamilie in einem Dorf in Mittelfinnland geboren und schnitzte schon als Kind Spielzeug. Mit 18 schuf sie eine größere Skulptur, aufgrund derer sie an einer Kunstakademie in Helsinki angenommen wurde und dort dann mehrere Jahre Kunst studierte. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Eva in einem Militärkrankenhaus in Helsinki und lernte dort Pavoo kennen, der seinen verletzten Bruder besuchte.
Pavoo stammte aus Paateri und dorthin zogen die beiden nach ihrer Heirat 1944. Auf diesem Grundstück wohnten sie die ersten Jahre in einer Hütte am See, ab 1953 dann im Wohnhaus, das heute noch steht. Sie arbeiteten als Bauern, Eva schnitzte in ihrer Freizeit weiterhin. Mitte der 1970iger Jahre, also mit Anfang 60 hatte Eva eine Ausstellung in Helsinki und wurde dadurch Finnland weit bekannt. Die beiden konnten nun von der Holzschnitzerei leben, gaben den Bauernhof auf, Pavoo half Eva bei den groben Arbeiten.
Eva und Pavoo starben kinderlos und vermachten ihr Grundstück samt Bauten der Stadt Lieksa/Ort Paateri mit der Auflage, es als Museum geöffnet zu halten.
Das Wohnhaus besteht aus drei Etagen, im Keller ist eine Sauna, im Erdgeschoss das Wohnzimmer und Küche und im ersten Stock zwei Schlafzimmer. Besuchern zugänglich ist nur das Erdgeschoss. Auch hier dominieren natürlich Elemente aus geschnitztem Holz.
Neben dem Wohnhaus sind Eva und Pavoo unter einer von Eva geschaffenen Engelskulptur begraben.
Das Atelier befindet sich im ehemaligen Kuhstall, hier gibt es einige unvollendete Werke zu sehen und einen Film zum Leben von Eva Ryynänen, leider nur auf Finnisch ohne Untertitel. Eva hat ungefähr 500 Skulpturen geschaffen, ca. 50 davon wurden ins Ausland verkauft. Jedes einzelne Werk wurde aus einem einzigen Baumstamm oder Holzstück geschaffen, die Motive fand Eva hauptsächlich in der Natur, aber auch Menschen, insbesondere Kinder gehörten zu ihren Motiven.
Ich bin begeistert von der Ausstellung, so etwas umfangreiches, interessantes und einzigartiges habe ich nicht erwartet.
Gegen halb sechs Uhr mache ich mich auf den Rückweg. Für einige Zeit führt die Straße direkt am Pielinen See entlang und an einem Rastplatz halte ich an und setze mich für einige Zeit ans Ufer – auf der gegenüberliegenden Uferseite, allerdings nördlich von hier, liegt der Koli Nationalpark, dessen Berge bzw. Granithügel ich in der Ferne ahnen kann, dort war ich letztes Jahr. Auch hier spiegeln sich die Wolken wunderschön im Wasser.
Gegen 18.50 Uhr bin ich dann zurück in meiner Ferienwohnung.
Wetter: teils Schauer mit Gewittern, teils sonnig, ca. 16 - 19°C
Wanderung: Wanderung im Patvinsuo Nationalpark, 7,6 km