Hallo Silvia, schön, dass du auch noch dabei bist, Finnland scheint allgemein unter den skandinavischen Ländern das am wenigsten von ausländischen Touristen besuchte zu sein, nur vom Gefühl her, da es überall so ruhig zuging, insbesondere kaum ausländische Autonummern oder Sprachen zu hören waren (auch nicht bei meinen Ausflügen).
Ilona, die Schlittschuhe fand ich witzig, ich denke auch, da muss ein großer Eishockeyfan wohnen.
Jetzt geht es weiter, dieser Tag ist mal "kurz" genug für einen einzigen Post.
4. Tag – Samstag, 02.07.Für heute war eigentlich das Stadtzentrum für meine Erkundungen geplant, in der Straßenbahn gestern habe ich aber auf den dortigen Info Monitoren gesehen, dass heute eine „Pride Parade“ durch die Stadt ziehen wird. Das hat mir am Abend das Internet bestätigt und da ich keine Lust auf die deshalb zu erwartenden Menschenmassen und Straßensperrungen habe, werde ich heute nochmal Ziele außerhalb des Zentrums ansteuern.
Am Wochenende gibt es erst ab 8 Uhr Frühstück daher ist es schon 9 Uhr als ich mit der Tram ins Zentrum fahre, bei der dortigen Post meine gestern auf Suomenlinna gekauften und abends geschriebenen Postkarten einwerfe und in die U-Bahn in Richtung Westen einsteige. Die Metro fährt bis in die an Helsinki angrenzende Stadt Espoo (nach Helsinki auch gleich die zweitgrößte des Landes), ich steige an der Haltestelle Tapiola, das auch schon zu Espoo gehört, aus.
Tapiola wurde in den 1950iger Jahren als sog. „Gartenstadt“ erbaut. Damals musste dringend sehr viel neuer Wohnraum geschaffen werden, dieser sollte sich aber trotzdem in die Natur integrieren. Es wurden sehr bekannte Architekten engagiert und das Projekt war bzw. ist wohl ein Erfolg geworden. Auch das Zentrum von Tapiola gehört dazu, auch wenn hier eher die Architektur, als die Natur im Vordergrund steht. Man sieht deutlich, dass die Gebäude nicht mehr die neuesten sind, dennoch gefallen mir die um einen künstlichen See herum gruppierten Gebäude, die ganz in weiß gehalten sind, gut mit ihrer Rechteckform, auch das unmittelbar daneben gelegene Einkaufszentrum ist an diese Bauweise angepasst, hier wird zurzeit einiges neu gebaut. An einer Seite des Sees ist ein recht großes, flaches Badebecken, das kostenlos und allgemein zugänglich ist, dort planschen sehr viele kleine Kinder, deshalb habe ich davon keine Fotos gemacht.
Die Wohngebäude befinden sich in einem weitläufigen Waldgebiet hinter dem Zentrum von Tapiola, das ist zumindest bei den heute sehr drückenden Temperaturen zu weit zu Fuß, weshalb ich nach meiner Runde im Zentrum zurück zur U-Bahn Station gehe und eine Station zurück in Richtung Osten fahre.
Hier steht noch mehr Architektur, die ich mir anschauen möchte, nämlich die Aalto Yliopisto = Aalto Universität. Hier in Espoos Stadtteil Otaniemi befindet sich ein Universitätscampus mit Gebäuden der bedeutendsten Architekten Finnlands, allen voran dem Namensgeber der Uni Alvar Aalto (1898 – 1976). Aaltos Periode begann im Anschluss an den Jugendstil bzw. die Nationalromantik in den 1920iger Jahren mit Gebäuden vergleichbar dem deutschen Bauhausstil. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Schwerpunkt Aaltos auf Naturmateriealien und Gebäuden, die sich in die umgebende Natur integrierten. In dieser Zeit wurde der Uni Campus in Otaniemi gebaut, Hauptmaterial der von Aalto entworfenen Gebäude ist roter Ziegelstein.
Leider muss ich feststellen, dass mich das Baustellenpech scheinbar verfolgt, nachdem schon die Finlandia Halle, ebenso von Aalto entworfen (in seiner zweiten „weißen“ Periode) an der Töölö Bucht völlig von Bauplanen verhüllt ist (siehe 2. Tag), sind hier nun zwar nicht die Gebäude selbst durch Gerüste o.ä. verunstaltet, aber ihr Anblick schon, viele Straßen und Plätze sind aufgerissen, dadurch ist vieles nicht zugänglich bzw. sind viele hässliche Absperrgitter zu sehen. Dazu noch die unsägliche Hitze, das drückt schon ein bisschen auf mein Gemüt.
Aber gut, ich schaue mir die von Aalto entworfenen Gebäude so gut es geht an, das wichtigste Gebäude ist das halbrunde Audimax (von 1964), leider komme ich nicht richtig nah heran.
Nicht weit entfernt befindet sich das auch von Aalto entworfene Shoppingcenter,
dahinter sehe ich zwei Roboterfahrzeuge, die selbständig die Straße überqueren und auf dem Gehweg weiterfahren (zu Hause habe ich nachgeschaut was der aufgedruckte Text auf Deutsch heißt, vermutlich mehr schlecht als recht übersetzt: „Ist dem Laden die Milch ausgegangen?“ „Ich hole ab.“ „Lade die App Starship herunter.“).
Die aufgerissenen Straßen ziehen sich über den Campus bis an den Rand des nächsten wichtigen Gebäudes, „Dipoli“. Das Kongresszentrum (ursprünglich Gebäude der Studentenschaft) von 1966 wurde nicht von Aalto, sondern von Reima Pietilä und Raili Paatelainen entworfen und ist aus Naturstein, Kupfer, Holz und Beton erbaut und für mich das schönste Gebäude hier, es passt wunderbar in die Umgebung mit Wald und Granitfelsen. Wenn ich allerdings die riesigen Fensterflächen sehe (es sind 500 Fenster, davon sind nur 4 identisch untereinander) hoffe ich für die Studenten (hier finden gerade vermutlich Sommerkurse statt, zahlreiche junge Leute gehen in das Gebäude hinein), dass es eine Klimaanlage gibt, sonst muss es unerträglich heiß sein.
Hinter „Dipoli“ befindet sich ein weitläufiges Waldgebiet mit weiteren Campus-Gebäuden, unter anderem das merkwürdig geformte „Teknologföreningen“ aus Beton ebenfalls von 1966, hier drin war einmal die erste Disko Helsinkis und auch heute ist dort noch eine Bar/Club/Restaurant.
Es folgen Studentenwohnheime, nur eines davon wurde von Aalto entworfen, das wellenförmige Gebäude ähnelt dem von Aalto zuvor gebauten Studentenwohnheim der MIT in Boston (ich bin nicht ganz sicher, ob es das auf meinem Foto ist).
Ältere Wohnheime ebenfalls aus Ziegelsteinen wurden in den 1950iger als Athletenunterkunft für die Olympischen Spiele gebaut.
Auf dem höchsten Punkt des Campus befindet sich die Kapelle von Otaniemi, gebaut von Kaija und Heikki Siren, ist sie im umgebenden Wald kaum zu sehen (was natürlich so gewollt ist), leider hat die Kirche im Sommer am Wochenende nicht geöffnet.
In einem großen Bogen spaziere ich an weiteren Wohngebäuden vorbei und dann auf einem Waldweg direkt am Wasser bis ich wieder auf dem Campus ankomme.
Rund um die U-Bahnstation wurden in den letzten Jahren eine Reihe von neuen Gebäuden errichtet.
Hier erhole ich mich eine Weile im Schatten, dann mache ich mich auf die Suche nach etwas zum Essen. Im modernen Gebäude am U-Bahn Eingang befinden sich einige (Fastfood) Restaurants, die meisten haben aber geschlossen oder es ist kein einziger Gast da. Das gefällt mir alles nicht so und ich hoffe auf meine nächste geplante Station.
Mit der Metro fahre ich ein paar Stationen in Richtung Helsinki und steige im Stadtviertel Ruoholahti aus. Dieses liegt auf der Halbinsel Länsisatama (Westhafen), auf der sich früher neben dem Containerhafen ein Industriegebiet befand, unter anderem war die Nokia Kabelfabrik hier angesiedelt. Der Containerhafen wurde an eine andere Stelle umgesiedelt, hier fahren aber noch Fähren in Richtung Osteuropa und Russland ab (letztere gerade natürlich auch nicht mehr), außerdem gibt es eine große Werft (hier werden vom größten russischen Schiffsbauunternehmen „United Shipbuilding Corporation“ hauptsächlich Eisbrecher gebaut), viele moderne Bürogebäude und dazwischen viele ebenso moderne Wohnviertel.
Obwohl es hier einiges an Restaurants geben soll, schaffe ich es diese nicht zu finden und irre irgendwie ein bisschen planlos umher (warum ich nicht meinen Reiseführer aufgeschlagen habe und den dortigen Angaben auch zu Restaurants einfach gefolgt bin? Keine Ahnung, ich dachte, ich würde mich auch so zurechtfinden). Schließlich kaufe ich an einem Kiosk zwei Tacos und ein Wasser, Sitzplätze gibt es, leider aber alle in der prallen Sonne. Beim Preis von EUR 7,20 für 2 Tacos habe ich schon vermutet, dass sie nicht riesig sein werden, aber dass sie so klein sind - gerade mal handtellergroß ist das eine nette Vorspeise, satt werde ich nicht, aber immerhin ist der erste Hunger gestillt.
Nicht weit entfernt ist ein Supermarkt, dort kaufe ich nach dem Essen noch ein belegtes Baguette für später. Nun kann ich Länsisatama / Ruoholahti in Ruhe anschauen. Von der gegenüberliegenden Wasserseite sehe ich die große Werft (im Hintergrund die Jugendstilkirche in Eira),
dann geht es durch modern gestaltete Wohnviertel bis zu einem sehr hübsch mit vielen Pflanzen angelegten Kanal. Auf einer der schattigen Bänke dort mache ich meine zweite Mittagspause mit dem Supermarktbaguette.
Endlich satt und erholt spaziere ich am Wasser weiter vorbei am „High-Tech-Center“ mit fünf modernen, 2001 fertiggestellten Bürogebäuden, bis zum Ende der Halbinsel. Dort befindet sich die ehemalige Nokia Kabelfabrik, schon seit 1991 ein großes Kulturzentrum mit verschiedenen Museen, Galerien, Kunstschulen usw. Allerdings wirkt das ganze wie ausgestorben, so dass ich von einem Besuch absehe, das Fotografie Museum dort hätte mich eigentlich schon interessiert.
Stattdessen gehe ich über die Brücke, die Länsisatama mit der nächsten (Halb)insel Lauttasaari verbindet. Auf Lauttasaari spaziere ich am Hafen mit Blick hinüber nach Länsisatama vorbei
und möchte dann eigentlich zu den sich im Süden und Westen von Lauttasaari befindlichen Stränden weitergehen. Aber die Entfernungen habe ich unterschätzt, zumindest bei der heutigen drückenden Hitze kann ich mich nicht motivieren den Weg auf mich zunehmen. Bei nächster Gelegenheit biege ich daher ab und gehe zur nächsten Metrostation. Im dortigen kleinen Einkaufszentrum ist auch eine Filiale des „Espresso House“, im klimatisierten Inneren des Cafés erhole ich mich bei Cappuccino und Himbeer Cheesecake (EUR 9,50).
Nun geht es mit der Metro wieder eine Station zurück nach Ruoholahti, von dort dann zu Fuß durch die küstennahen Parks in Richtung Töölö. Vor dem mir bereits vom ersten Tag bekannten Friedhof mache ich einen Abstecher zum ehemaligen Krankenhausgelände, das ist heute ein allgemein zugänglicher Park.
Es gibt auch ein rustikales Café, eher ein Verkaufsstand, dort kaufe ich einen Cold Brew (die Kosten von EUR 3,90 zahle ich in bar, das Mädel, das am Stand arbeitet kann nicht rausgeben, ich hätte ihr allerdings sowieso die 10 Cent als Trinkgeld dagelassen und sage daher, dass ich das Rückgeld nicht möchte/brauche. Das nimmt sie irgendwie nicht ernst und überlegt laut, ob und wo sie nicht doch noch 10 Cent auftreiben könnte. Erst als ich nochmal sehr energisch sage, dass ich das Rückgeld nicht möchte, akzeptiert sie es so. Also Trinkgeld scheint in Finnland wirklich ziemlich unbekannt zu sein, ich dagegen finde EUR 3,90 für einen Kaffee, den ich mir selbst aus einem großen Tetrapack zapfen muss und einer Milch, die schon leicht ausflockt, zu teuer, da kommt es auf 10 Cent nicht mehr an.)
Immerhin liegt die Terrasse fantastisch und ich kann meinen teuren Kaffee unmittelbar am Wasser sitzend ausgiebig genießen.
Nach der Pause gehe ich, vorbei am wieder gut gefüllten Sandstrand Hieteranta, in Richtung meines Hotels. Im Supermarkt kaufe ich noch was fürs Abendessen ein, gegen 18 Uhr bin ich zurück in meinem Zimmer.
Wetter: sonnig, leicht bewölkt, gegen Abend stark bewölkt, ca. 29 °C