Autor Thema: Deutschland bleibt unfähig, wenn es um Integration, Inklusion und Unterstützung Behinderter geht  (Gelesen 4090 mal)

Rainer

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Heute ist Kommunalwahl in NRW, so auch in Mönchengladbach. Gerade waren wir am Wahllokal. Auf Grund der Pandemie gelten besondere Hygienevorschriften, schon seit den frühen Morgenstunden stauen sich die Wähler, weil man sich bei der Organisation offensichtlich weit verhauen hat und zu wenig Urnen bereit gestellt hat, die mit zu hohem Aufwand gewartet werden.

Glücklicherweise ist schönes Wetter, denn die Wartenden stehen auf einem Schulhof in Reihe und müssen, je nach Uhrzeit, bis zu 1 Stunde Wartezeit in Kauf nehmen, ohnehin schon eine ziemliche "Prüfung".

Alle Parteien haben salbungsvolle Artikel in ihrem Wahlprogramm stehen, wie sie die Behinderten im Alltag unterstützen wollen. Heute wäre die Chance gewesen, einen ersten Beitrag zu leisten. Nämlich statt nur eine Seite der Doppeltüre zu öffnen, beide Seiten zu öffnen und die linke Seite für Behinderte und Alte etc. auszuzeichnen. Was natürlich NICHT geschehen ist, weil natürlich NIEMAND daran gedacht hat, dass auch Behinderte und Alte zu einer Wahl kommen.

Und so dürfen die Behinderten, die teilweise auf Rollatoren gestützt nur kurze Entfernungen zurücklegen können, genau wie alle anderen 1 Stunde lang in einer langen Schlange stehen, niemand kommt auf die Idee, sie durchzuwinken, geschweige denn (wie es in den USA absolut selbstverständlich wäre) sie an einem Eingang bevorzugt einzulassen.

So bin ich dann nach ein paar Minuten unverrichteter Dinge wieder abgezogen, die alte Dame 3 Positionen vor mir blieb tapfer in der Reihe, so werde ich eben erst wieder in ein paar Jahren wählen gehen. Vielleicht sind dann die vollmundigen Versprechen der Wahlprogramme ernst gemeint, heute jedenfalls hat man gleich die erste Chance wahrgenommen, zu zeigen, dass das alles nur hohles Gewäsch ist und dass sich kein Mensch um die Belange der Behinderten kümmert. Die werden erst gar nicht wahrgenommen, dabei wäre es so einfach gewesen...

Birgit

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Wie hat man denn reagiert, als du das alles vor Ort vorgetragen hat?

Susan

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Bei den Bedingungen wäre ich auch als "Normale" nicht zur Wahl gegangen  ???

Ansonsten ist es leider so: "große Sprüche"  und Beschlüsse was (nicht nur) Integration und Inklusion angeht, aber die praktische Umsetzung bleibt im Nebel. Selbst wenn es nur um einfache Dinge geht.

Und vermutlich hat auch keiner der anstehenden Mitbürger mal gesagt "Gehen Sie mal vor"?
Liebe Grüße
Susan

Horst

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@Birgit,
wie soll Rainer eine Beschwerde vor Ort vorbringen, wenn er innerhalb einer Stunde gar nicht rein kommt?

Ich bin mit dem, was Du sagst, nicht einverstanden, aber ich werde bis zum Tod Dein Recht verteidigen, es zu sagen. Voltaire.

Silke

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Bei den Bedingungen wäre ich auch als "Normale" nicht zur Wahl gegangen  ???

Ansonsten ist es leider so: "große Sprüche"  und Beschlüsse was (nicht nur) Integration und Inklusion angeht, aber die praktische Umsetzung bleibt im Nebel. Selbst wenn es nur um einfache Dinge geht.

Und vermutlich hat auch keiner der anstehenden Mitbürger mal gesagt "Gehen Sie mal vor"?

Der letzte Satz ist doch eigentlich das Entscheidende und Traurige.
Das Problem wäre doch auch ohne irgendwelche Parteiarbeit recht einfach aus der Welt zu schaffen gewesen.

Silke

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@Birgit,
wie soll Rainer eine Beschwerde vor Ort vorbringen, wenn er innerhalb einer Stunde gar nicht rein kommt?
Einfach an der Schlange vorbei nach vorne rangehen?

Birgit

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Bei den Bedingungen wäre ich auch als "Normale" nicht zur Wahl gegangen  ???


Richtig! Oder ich hätte mich lauthals beschwert!

Ich finde das nicht behindertenunfreundlich, sondern fehlorganisiert, die Situation unter- und falsch einschätzend und schlicht und einfach bürgerunfreundlich.

Man hätte ja durchaus in einem Probelauf abschätzen können, wie lange das Wählen pro Nase unter Coronabedingungen dauern und wie viele hochgerechnet wohl kommen werden unter Berücksichtigung der Anzahl derer, die die Briefwahl genutzt haben, man hätte entsprechend mehr Platz, Wahlurnen, Personal zur Verfügung stellen können.

Man hätte anhand früherer Erfahrungen schon vorher und vor Ort darauf hinweisen können, wann erfahrungsgemäß der größte Ansturm kommt und auf eher schwach besuchte Zeiten hinweisen können.

Rainer

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Also, um es zu komplettieren:

Ich habe eine  Weile da gestanden und habe durchaus auch ein paar "Stationen" vor mir die alte Dame gesehen, die auch den Rollator benötigte. Ich habe dann die Leute vor mir angesprochen und habe gesagt, dass ich das peinlich finde, dass nicht an Behinderte gedacht wird. Selbstverständlich haben die beiden mir angeboten, mich vorzulassen und haben natürlich auch angeregt, dass ich einfach ganz nach vorne gehe.

Aber das habe ich NICHT getan. Warum nicht? Weil ich einschlägige Erfahrung habe. In vergleichbaren Situationen (Flughafen beispielsweise) ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass JEDER einsieht, dass ein Behinderter ganz nach vorne geht. Wenn ich ehrlich bin, da habe ich leider auch schon ziemlich üble Szenen erlebt.

Außerdem habe ich darauf hin gewiesen, dass selbstverständlich auch die alte Dame nach vorne geleitet werden müsse. Da fühlte sich (verständlicherweise) niemand so Recht in der Verantwortung.

Last not least habe ich beschlossen, es auf sich beruhen zu lassen. Sicherlich hätte ich mich nach vorne "pfuschen" können (so empfinden das sehr viele), aber es hätte nicht das grundsätzliche Problem gelöst, ich möchte nicht wissen, wieviele behinderte oder sehr alte Herrschaften heute zum Warten verurteilt waren. Vorher schon und nachher immer noch.  Der Sohn unseres Nachbarn war schon um 8 Uhr zur Wahl gegangen und hatte seine Eltern angerufen, dass eine unerträgliche Schlange dort stünde.

Selbst wenn also eine Organisation am Morgen der Wahl selbst bemerkt, dass da etwas im Argen liegt, hätte man selbst da noch eine Behelfslösung finden können und für Bedürftige einen eigenen Eingang kreieren können. Soviel Phantasie braucht man dafür eigentlich nicht. Aber genau da setzt eben auch meine Kritik an: das ist einfach von vorne bis hinten nicht in den Köpfen drin. Das geht einfach nicht, so oder so nicht. Und das ist auch genau meine Kritik, die ganzen salbungsvollen Programme, die scheitern an der Praxis. Es versteht einfach keiner.

Rainer

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Ich finde das nicht behindertenunfreundlich

Doch, das finde ich durchaus.

Es ist ganz offensichtlich: in den USA sind an allen "kritischen" Passagen eigene "Lanes" für Behinderte. Sei es am Flughafen am Sicherheitsscheck, sei es in Las Vegas am Buffet: überall ist absolut selbstverständlich, dass Behinderte eine eigene Lane bekommen.

Und genau genommen gibt es auch keine andere Lösung. Einfach grundsätzlich eine eigene Spur für Behinderte. Egal, ob die benutzt wird und wieviele letztendlich da durch laufen. Und genau das hat Deutschland immer noch nicht verstanden. Da wird man immer noch gefragt, ob man sich auch gebührend beschwert hätte. Meinst Du wirkllich, mir wäre das nicht auch total unangenehm, auf meinen Umstand hinzuweisen und "den lauten zu machen"? Ich will das nicht. Und ich will auch nicht gefragt werden, ob ich denn auf den Mißstand laut genug hingewiesen hätte.

Ich will einfach nur nicht in der Schlange stehen. Und die Amerikaner haben das verstanden. Die Deutschen nicht ansatzweise.