18.5. und 19.5.: Von Erfurt nach Addis AbebaSelbstverständlich hat mich auch dieses Mal wieder eine Erkältung im Griff, die aber schon wieder am Abklingen ist, als ich meinen Koffer packe.
Am Freitag setze ich mich mittags in den Zug, treffe mich, der Tradition gehorchend, noch mit Tanja und checke ein. Nun ja, soooo perfekt ist leider die Organisation der Airline nicht:
Eine Minireisegruppe regt sich auf, die drei Reihen mit insgesamt 9 Sitzen in der Mitte seien extra für die 4 Personen geblockt worden, zudem ist mein Platz an einen der Menschen dieser Gruppe vergeben worden. Ich bleibe sitzen. Immerhin beschert mir das in der ohnehin nicht ausgebuchten Maschine einen freien Sitz neben mir, sodass ich die Beine nachts zum Schlafen ein bisschen hoch nehmen kann.
Am Gate lerne ich zuvor noch Isabell kennen, eine sehr, sehr Nette aus der 'Wenn Frauen solo reisen’-Gruppe und 'Reisen in Äthiopien’ auf Facebook, die ihren äthiopischen Ehemann besucht. Die Äthiopiengruppe kann ich übrigens wärmstens empfehlen, kein Gezicke, nette, prompte und hilfreiche Antworten in kürzester Zeit und ‘Wenn Frauen solo reisen’ ist ja ohnehin der Dauerbrenner.
Der Flug ist ruhig, das Essen gut, ich kann noch ein bisschen Schlaf abgreifen.
Landung im Morgengrauen, Isabell weist mir noch eine Abkürzung zur Immigration, und dank des vorher schon bestellten und in den Pass eingetragenen Visums bin ich in 3 Minuten eingereist und habe weitere 10 Minuten später meinen Koffer.
Noch fix zum ATM und den Maximalbetrag ziehen, 4000 Birr in Hunderterscheinen, der größten Banknote, umgerechnet etwa 120 Euro.
Ich verlasse den Airport und bekomme, wie in vielen Ländern, erst einmal ein Taxi angeboten. Aber Muller, mit dem ich zuvor immer wieder per WhatsApp Kontakt hatte, holt mich ab, begleitet von einem Fahrer. Mullers Lachen sehe ich schon von Ferne, aufgrund eines zuvor geschickten Fotos erkennen wir uns gleichzeitig. Der hat echt Ausstrahlung!
Ich checke ins Hotel Eliana International ein, das hätte ich mir sicher auch selbst gebucht.
Vom Flug bin ich ziemlich durch, aber Sightseeing ist angesagt. Also hilft es nix, nach einer Stunde im Zimmer mit kurzer Dusche und einer 'Ich bin gut angekommen’-Meldung nach Hause geht es wieder los.
Ein erster äthiopischer Kaffee aus der unscheinbaren, aber innen sehr ursprünglichen traditionellen Kaffeebar Tomoca nebenan soll mich wieder auf Trab bringen und macht seinen Job zuverlässig.
Addis wird sicher nicht eine meiner Lieblingsstädte, aber interessant ist es schon. Ich bin ganz froh, dass ich dieses Mal nicht ganz auf eigene Faust unterwegs bin, und herumgefahren zu werden, hat schon viele Vorteile!
Erst geht es mit Muller an meiner Seite auf den Mercato, und wieder tun sich Erinnerungen an indische Märkte einerseits und die Slums in Mumbai andererseits auf. Hier wird alles verkauft, einfach alles! Und es wird recycelt und gebastelt.
Dann fahren wir nach Entoto, wo eine Kirche und der alte Kaiserpalast warten.Hier ist es deutlich kühler, denn wir sind hier nochmals einige hundert Meter höher als die Stadt, nämlich auf etwa 3000 Metern. Kirchenschätze breiten sich vor mir aus und ich erfahre einiges über die Geschichte des Landes.
Es geht noch in zwei Museen, und Muller berichtet mir tapfer, was es hier alles zu sehen gibt, von A wie Ackerbau bis Z wie Zupfinstrument. Ich gebe es zu, ich schalte zwischendurch ab, so viel Input nach dem Flug verarbeite ich gerade nicht.
Im Nationalmuseum kann ich aber noch Lucy hallo sagen. Lucy heißt Lucy, da die Archäologen bei den Arbeiten die Beatles gehört haben, also kenne ich Lucy in the Sky nun auch with diamonds. Das finde ich sehr schön!
Und außerdem lerne ich die Unterschiede zwischen Axum-, Gondar- und Lalibelakreuzen kennen.
Und dann finde ich noch die äthiopische Legende von der Königin von Saba sehr niedlich, die stammt nämlich aus Axum, jawohl! Aber die berichte ich, wenn wir in Axum sind.
Nur als es hier nochmals in eine Etage mit irgendwelchen Sensen oder Waffen geht, kann ich nicht mehr und winsele um Gnade. Diese wird mir gewährt, und ich darf im Hotel essen und ein paar Stunden Nachtschlaf nachholen, bevor es abends in ein traditionelles Restaurant geht.
Die Uhr im Auto zeigt immer eine völlig andere Zeit, und ich lerne, dass die Uhr hier anders gelesen wird. Der Tag beginnt mit 0 Uhr, wenn es nach herkömmlicher Zeitrechnung 6 Uhr morgens ist, die Nacht beginnt um 18 Uhr. Mittag ist also 6 Uhr. Hier ist es nun 8 Uhr, um 1 Uhr werden wir wieder starten. Ich finde es logisch und werde mich im Laufe der kommenden Tage sehr schnell damit anfreunden.
Im Restaurant abends gibt es einen ersten Eindruck von äthiopischem Essen, natürlich mit Injera, und ich bin froh, dass ich dreimal im Trainingslager war in Restaurants in Berlin, Los Angeles und Frankfurt und dort das Essen mit der bloßen Hand vorher schon geübt habe.
Kleiner Tipp: Da es nachmittags zu regnen begonnen hat, sind viele der Wege hier schlammig. Bei Regenwetter bietet es sich also an, nicht unbedingt die Riemchensandaletten zum Ausgehen anzuziehen, lieber Gummistiefel oder die praktischen abwaschbaren Crocs.
Im Lokal wird plötzlich wie wild heimlich gefilmt vom Fahrer und Muller, und ich wundere mich, warum die beiden gebildeten Jungs mit den tollen Umgangsformen plötzlich anfangen, wie wild runde Frauenpos in stramm sitzenden Glitzer-Leggings zu filmen. Das Rätsel wird schnell gelöst: Es handelt sich um eine bekannte Schauspielerin, die hier in Begleitung einer großen Handvoll sie anhimmelnder Herren isst und unter anderem eine ganze Flasche Whisky bestellt.
Ich überlege zwischendurch, ob ich Muller lieber frage, wann er in Deutschland war oder eher, wie lange er in Deutschland war, und schon erzählt er mir, dass er nie im Ausland war, Deutsch lediglich 6 Wochen lang im Goethe-Institut gelernt habe und den Rest sich selbst beigebracht habe. Wow!
Und im Laufe der Reise wird nicht nur er mir am eigenen Beispiel zeigen, dass Bildung und Erfolg hier ein Geschenk und eine Ehre ist, nicht nur er wird mich fast fassungslos vor Bewunderung zurücklassen, welch wirklich starke Menschen dieses raue und manchmal auch unerbittliche Land hervorgebracht hat.
Übrigens ist für mich das Beste des ganzen Tages die Menschen zu beobachten. Mullers Blick funkelt, wenn er lacht. Und das tut er oft und schaut mich immer direkt an. Der Fahrer, eigentlich Bachelor in Psychologie und Wirtschaft ohne Aussicht auf einen adäquaten Job, ist zu Herzen gehend sanft und freundlich. Wenn Menschen die Ferenji (mich) sehen, lachen sie. Es wird gebettelt wie in Indien, aber ganz oft wird mir nur 'hello’ oder eine beliebige anderen englische Vokabel zugerufen.
Nach der Rückkehr ins Hotel genehmige ich mir in der Bar noch einen Gin Tonic, beobachte nun gut lebende reiche feiernde Äthiopier in der Hotelbar und chatte noch ein wenig mit Muller und den Lieben daheim. Und hurra, das bislang störrische Whats App (offenbar wird das Internet hier sehr kontrolliert) macht nach dem Installieren einer VPN-App wieder mit!