Mittwoch, 17. AugustIch habe mir den Radiowecker gestellt, und vermutlich weckt das Ding das ganze Haus auf, als es um 6 Uhr lautstark losgeht. Ich habe mich für die erste Frühstücksschicht von 7.15 bis 8.15 Uhr eingetragen, schließlich will ich am letzten Urlaubstag in Denver volles Programm machen. Davor muss ich allerdings noch eine kleine Widrigkeit meistern: Weil die Reiseadapter nicht in den wackligen Steckdosen halten, muss ich den Föhn der Unterkunft benutzen, der ein nur 60 cm langes Kabel hat und am Ende eines 60 cm breiten Waschtischs etwa in Bauchnabelhöhe in die Steckdose eingesteckt werden muss – die anderen Steckdosen im Zimmer liegen knapp über Fußbodenhöhe. So wird das morgendliche Haareföhnen zur Frühgymnastik.
Zum Frühstück gibt es heute morgen Waffeln mit Erdbeeren, Blaubeeren und Bananen, sehr lecker. Ich komme dabei noch mit Cindy und Tom ins Gespräch, zwei Gästen, die offenbar Baseballbegeisert sind und um beim gestrigen Spiel der Rockies im Coors-Stadium waren. Heute ist wieder ein Spiel, und da gehe ich auch hin. Ob ich denn ein Ticket hätte, will Tom wissen, ja, das habe ich schon von zuhause im Internet gekauft, berichte ich.
Ein Blick nach draußen macht Laune: Blauer Himmel, strahlendes Wetter, klasse!
Ich packe meinen Kram zusammen und mache mich dann auf den Weg zum State Capitol, wo ich gegen halb neun ankomme und fest entschlossen bin, an einer Führung teilzunehmen.
Satz mit X, war wohl nix, geöffnet haben sie zwar schon ab halb acht, Führungen gibt es aber erst ab 10. So viel Zeit kann ich hier wirklich nicht totschlagen. Ich spaziere ein wenig herum und mache mich dann auf die Suche nach dem oder besser den High-Mile-Markern an der Westtreppe.
In der Broschüre steht nämlich, dass die ursprüngliche Plakette, die eine Höhe von 1 Meile über dem Meeresspiegel anzeigt, öfter gestohlen wurde. Daraufhin wurde sie durch eine Gravur in einer Treppenstufe ersetzt. Später fanden Studenten dann heraus, dass die Meile ein paar Treppenstufen höher liegt. Und wieder später fanden Wissenschaftler dann heraus, dass die Meile ein paar Treppenstufen tiefer liegt. Heute gibt es deshalb auf der Treppe ganze drei Marker für die Mile high City.
Dafür, dass die Stadt 1600 Meter hoch liegt, ist es heute morgen schon richtig warm. Ich will eigentlich ins Art Museum, aber das öffnet erst um 10, also nutze ich das schöne Wetter und mäander ein wenig durch die Straßen.
Schließlich komme ich ans Convention Center. Der Bär am Convention Center und ich habe eins gemeinsam: Wir kommen hier nicht rein. Ich rüttele noch ein wenig an den Türen, aber alles ist zu. Wahrscheinlich machen die auch erst um 10 auf.
Na ja, Zeit fürs Kunstmuseum. Dort kreuze ich um kurz nach 10 auf und kann schon die erste Kunst am Straßenrand bewundern.
Ich zahle 13 Dollar für den Eintritt und mache mich vom Hamilton Building über einen Überweg auf den Weg zum North Building, denn dort will ich mir indianische und präkolumbinanische Kunst anschauen. Die indianische Kunst stammt zumeist vom Anfang des 20. Jahrhunderts, es sind aber auch einige Bilder, Kleidung, Puppen und Installationen aus den letzten Jahren dabei.
Ein Stockwerk höher ist die präkolumbianische Kunst zu sehen, und hier wird man von der Fülle und der Unterschiedlichkeit der Ausstellungsstücke beinahe erschlagen. 2000 Jahre werden abgedeckt, von Südamerika bis nach Mexiko.
Auch ohne die weiteren Ausstellungen gesehen zu haben, habe ich fast 2 Stunden im Museum verbracht, und vermutlich könnte man hier Tage verbringen.
Jetzt ist aber das „zeitgenössische“ Denver dran. Ich mache mich auf den Weg zur 16th Street, der Einkaufsstraße, die mehr oder weniger als Fußgängerzone konzipiert ist, in der nur die regelmäßigen kostenlosen Shuttlebusse fahren. Ich schlendere die Straße entlang, schaue ein wenig und genieße das Sommersonnenwetter. Ein paar gläseren Hochhäuser gibt es am Anfang noch zu bewundern, aber insgesamt wirkt Denver hier um die Fußgängerzone fast kleinstädtisch, da erinnert nichts an die mehrspurigen vollgestopften Interstates, über die ich gestern hergekommen bin.
Fast am Ende der Mall biege ich nach links ab, zum Coors-Stadion, das ein paar hundert Meter nördlich liegt. Mit mir sind schon viele Leute unterwegs, auch viele mit Kindern, denn heute spielen die Rockies nachmittags gegen die Nationals aus Washington. Die beiden folgenden Fotos sollte man sich genauer anschauen:
Und warum sollte man sich die beiden letzten Fotos genauer anschauen? Ganz einfach: Es sind die letzten mit meinem geliebten, mich seit Jahren begleitenden 24-105-mm-L-Objektiv. Am Stadion angekommen hole ich die ausgedruckte Karte heraus, und als ich stattdessen die Kamera in die Tasche packen will, rutscht sie mir aus den Händen und knallt auf den Boden. Ich hoffe noch ein paar Sekunden, dass nichts passiert ist, aber ich kann schon kleine Scherben auf dem Boden sehen, und als ich sie hochhebe, sehe ich, dass der Filter sich regelrecht in das Objektiv hineingeschoben hat und zersplittert ist. Ob auch die Linse etwas abbekommen hat, kann ich in dieser Situation erst mal nicht erkennen, den Filter bekomme ich auch nicht mehr runter, oh, das sieht übel aus, so ein Mist!
Ich gehe trotzdem ins Stadion, obwohl ich mich im Moment genauso gut auf eine Treppe setzen und heulen könnte. Irgendwie ist es in diesem Urlaub wie verhext. Etwas ziellos mache ich mich dann auf die Suche nach meinem Platz, irgendwo oben in der Nähe der Base, aber wie kommt man hoch? Gerade als ich mich ratlos umschaue, laufen mir Cindy und Tom über den Weg. Die frage ich um Rat, sie erklären mir den Weg, doch ein paar Sekunden später spricht mich Cindy von hinten wieder an und meint, ich solle doch mit ihnen kommen, sie hätten Tickets in der ersten Reihe.
Okay? Dann gehe ich halt mal mit, beschließe ich. Im Moment ist mir irgendwie eh alles egal. Tom überreicht mir ein Ticket, und wie ich später herausbekomme, haben sie Saisonkarten und 8 Plätze in der Reihe für sich gebucht. Oft geht die Familie mit, die in der Nähe wohnt, aber manchmal sind sie auch alleine hier, also haben sie Tickets übrig.
Rein preislich sind ihre Tickets zwar günstiger als meine, aber ich muss zugeben: Es hat was, direkt in der ersten Reihe am Rasen zu sitzen. Ich zeige Cindy und Tom meine Kamera, und die beiden bedauern mich, und dann kommt auch noch der Aufpasser vom Feld auf mich zu, zeigt auf meine Kamera und erklärt mir, wie sehr ihm das leidtäte und dass er mit mir fühlt. Ach, es tut doch gut, ein bisschen gehätschelt zu werden.
Mir das Spiel mit Cindy und Tom anzuschauen, ist dann wirklich sehr unterhaltsam, Glück, dass ich sie getroffen haben. Die beiden wissen eine Menge über die Rockies und das Spiel (es ist ein game, kein match bekomme ich als erstes zu hören, und es sind keine points, es sind runs) und beantworten gerne meine Fragen. Zwischendurch bestellen sie für mich ein Bier mit. Natürlich muss mich dafür revanchieren und bestelle bei der nächsten Runde für sie Getränke mit. Natürlich müssen sie sich dafür revanchieren und bestellen bei der nächsten Runde für mich wieder ein Bier mit. In der Sommersonnenhitze 3 Bier herunterzukippen macht mich dann doch etwas dösig, und so verbringe ich die zweite Hälfte des etwa vierstündigen Games trotz des Kameraschadens in einem halbwegs entspannten Zustand. Netterweise gewinnen die Rockies, und ich verabschiede mich herzlich von Cindy und Tom und gehe noch in den Souvenirshop im Stadium, um ein paar Rockies-Mitbringsel zu kaufen. Dass ich die beiden getroffen habe, war wirklich ein Glück, so wurde es dann doch noch ein sehr netter Nachmittag.
Nach einem anschließenden Bummel zurück auf der 16th Street kehre ich abends schließlich noch im Hard Rock Café ein und vertilge gemäß der Urlaubstradition die überbackenen Nachos. Satt und müde und trotz des Kamera-Sturzes mit dem Nachmittag zufrieden trotte ich schließlich zurück Richtung Unterkunft. Aber es ist eine merkwürdige Stimmung: Die Sonne ist weg, die Straßen sind leerer als heute mittag, und noch mehr als heute morgen fallen mir die vielen Obdachlosen auf. Manche sehen nicht aus wie Obdachlose, sie sind ordentlich gekleidet und frisiert und könnten genauso gut gerade nur zufällig hier sitzen. Ich bekomme mit, wie ein junger Mann und eine Rollstuhlfahrerin miteinander plaudern und wäre nicht auf die Idee gekommen, dass sie obdachlos ist, bis der junge Mann Geld herausholt und ihr ein paar Dollar gibt. Am meisten wirft mich aber eine Frau aus der Bahn, die adrett frisiert und gut gekleidet mit einer sorgfältig mit einem Gummiband zusammengebundenen neu wirkenden Isomatte vor einem Geschäft sitzt und mir ein schmerzliches Lächeln zuwirft. Wenn ich da an die teilweise abgerissenen Hiker im Yellowstonepark zurückdenke, die ihre Schuhe mit Klebeband geflickt hatten... Ich frage mich, was ihr passiert ist und gerate unweigerlich ins Grübeln.
Ich komme vor neun Uhr zurück ins Bed and Breakfast und kann am PC der Innkeeperin online einchecken und meine Boarding-Pässe ausdrucken. Nein, ausdrucken kann ich nur den Boarding Pass für den Flug von Island nach Frankfurt, für die Strecke Denver – Island hat Icelandair nur eine Confirmation für mich. Huch, was ist denn da los, sind die etwa überbucht und ich bin auf irgendeiner Warteliste? Das würde ja zu meinem bisherigen Pech passen. Aber beim sorgfältigen Lesen ergibt sich dann, dass man für den Flug ab Denver eine richtige Boardkarte braucht, die man am Schalter bekommt. Eingecheckt bin ich, also alles im grünen Bereich.
Die Innkeeperin bekommt dann noch meine Kühlbox, und ich trage mich für morgen früh für die zweite Frühstücksschicht ab 8.15 Uhr ein. Morgen habe ich viel Zeit, ich will nur noch ins Naturkundemuseum, also verschiebe ich das letzte Packen auf morgen und vervollständige heute abend nur noch mein Reisetagebuch.
Gute Nacht!