Sonntag, 31.7.16Gut geschlafen habe ich nicht. Gegen vier Uhr wache ich auf und fasse einen Entschluss: Wenn es die Möglichkeit gibt, mir ein Kabel für das Laptop zu kaufen, dann werde ich das machen, und kaufen kann man heutzutage ja auch übers Internet. Blöd nur, dass die Online-Recherche, die ich machen müsste, genau mit diesem Laptop stattfinden müsste. Ich simse also einen Freund in Deutschland an, ob der mir nicht vielleicht eine schnell lieferbare Ladekabel-Alternative heraussuchen könnte, aber so einfach ist das leider nicht. Was er findet, hat eine Lieferzeit bis Mitte August. Das würde mir zwei oder drei Tage vor dem Heimflug nicht mehr viel nützen.
Schade, so geht es also nicht. Ich könnte mal im Walmart in Cody nach einem passenden Ladekabel oder einem passen Traveladapter schauen, bevor ich in den Yellowstone Park fahre, vielleicht haben die was. E-mails, Internetrecherche, Datenspeicherung, Datensicherung, das alles hängt an diesem blöden Laptop bzw. an diesem blöden Stecker. Ich könnte mir in den Arsch beißen, dass ich vor dem Abflug nicht geschaut habe, ob der Stecker und der Adapter zusammenpassen.
Als um sieben Uhr die Rezeption öffnet, werde ich dort mit Sack und Pack vorstellig, also mit Laptop, Kabel und Steckeradapter, um dort live vorzuführen, welches Problem ich habe und um Hilfe bei der Lösung zu bitten. Laut der Schrift neben der Tür rockt hier ja ein gewisser Jesus, der könnte sich ja auch mal Gedanken darüber machen, wie ich in den nächsten zweieinhalb Wochen mein Laptop laden soll, schließlich zahle ich in Deutschland regelmäßig haufenweise Kirchensteuer, das dürfte so einem allwissenden Wesen wie Gott ja auch nicht verborgen geblieben sein. Gut, ein bisschen über den Lord gelästert habe ich in den letzten Tagen auch, das ist vermutlich da oben nicht so gut angekommen.
Der Motelinhaber weiß davon aber nichts und schaut sich alles genau an. Dann verschwindet er im Nebenraum. Und dann kommt er mit einem Steckeradapter wieder zurück. Ein kurzer Test: Mein blöder Schuko-Stecker passt tatsächlich auf diesen Reiseadapter. Okay, was jetzt? Ich will ja schließlich gleich abreisen. Hm, vielleicht lasse ich das Laptop zum Aufladen hier und gehe in der Zwischenzeit gemütlich frühstücken, dann hätte ich wenigstens wieder mehr Saft drauf und für die dringendsten E-mails würde das reichen. Gerade als ich diesen Vorschlag machen will, erklärt mir der Motelinhaber, ich könnte den Adapter haben. Wie bitte? Ich kann ihn haben? Ja, den hätte vor längerer Zeit ein Gast vergessen und auf E-mails nicht mehr reagiert. Er, der Motelbetreiber, hätte sich dann gedacht, dass man ja nie wissen könne, ob man sowas nochmal brauchen könne, deshalb hätte er den Adapter aufgehoben. Und ich könnte ihn jetzt haben.
Ich bin so froh, dass ich ein aufgeregtes „I love you“ rausquietsche, wie geil ist das denn??? Okay, vielleicht funktioniert der Adapter gar nicht mehr und ist deshalb hiergeblieben, bremse ich mich erst mal, aber ein kurzer Test ergibt: Das Ding funktioniert, und das Ladelämpchen am Laptop leuchtet.
Vorsichtshalber sage ich dann doch mal dem rockenden Jesus Dankeschön, gepriesen sei der Lord, auch wenn ich ihn nach wie vor nicht auf meiner Handtasche haben wollte.
Bei strahlend blauem Himmel und Sonne im Herzen mache ich mich also auf zum Mount Rushmore. Die Fahrt dauert etwa eine halbe Stunde und führt durch hügelige felsige Wälder. Schön ist es hier. Einen Blick auf den ziemlich unfertigen Indianerhäuptling erhasche ich unterwegs auch. Wenn der zu meinen Lebzeiten noch fertig wird, dann reise ich nochmal hierher, beschließe ich, und dann wird auch ein Foto gemacht. Heute nicht.
Am Mount Rushmore ist schon einiges los, dabei haben die gerade erst vor einer Viertelstunde aufgemacht. Ich parke das Auto und steuere die Flaggen-Allee und die große Terrasse an. Von unterwegs versuche ich schon mal, die Präsidentenköpfe dekorativ einzufangen.
Das Standardfoto mache ich natürlich auch.
Und dann schaue ich mal, ob ich Georgie und Co. nicht doch eine bisher unbekannte Seite entlocken kann. Das Wetter spielt zum Glück heute morgen mit, vergessen sind die heftigen Gewitter von gestern abend.
Heute wartet wieder ein längerer Fahrtag auf mich, und als nächsten Stopp habe ich mir Deadwood ausgesucht. Leider bin ich was die Geschichte des Wilden Westens angeht absolut unbedarft, aber immerhin kenne ich Calamity Jane aus einem Lucky-Luke-Comic, also schaue ich mir ihr Grab und das von Wild Bill erst mal auf dem Friedhof von Deadwood an. Okay, das ist definitiv noch steigerungsfähig.
Unten in Deadwood kann man durch die historische Straße schlendern, wobei ich so meine Schwierigkeiten habe, zwischen alt und auf alt gemacht zu unterscheiden. Es gibt z.B. einen Saloon No 10, in dem nachgespielt wird, wie Wild Bill erschossen wurde. Und es gibt den Original-Saloon, in dem er tatsächlich erschossen wurde. Oder ist das nur der Saloon, der anstelle des Saloons gebaut wurde, in dem Wild Bill erschossen wurde? Und warum ist es eigentlich so wichtig, wer wo wann und warum Wild Bill erschossen hat? Egal, ich bin fest entschlossen, hier in Deadwood zu Mittag zu essen, also warum nicht am Beinahe-Original-Schauplatz? Dort gibt es allerdings zwar einen Saloon und einen Souvenirshop, aber anscheinend nichts zu essen. Und im nachgemachten Saloon gibt es zwar was zu essen, aber als ich sehe, dass Leute mit Papptellern und Pastikbesteck an Tischen sitzen, um überteuerte Burger zu essen, setzt es bei mir aus. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich kehre schließlich in einem nach vorne offenen, aber überdachten und damit schattigen Lokal ein, das jetzt zwar auch nicht für kulinarische Köstlichkeiten in die Geschichte Deadwoods eingehen wird, aber immerhin gibt es hier richtiges Geschirr, wenn man auch das Gefühl hat, dass man als Gast eher lästig ist.
Insgesamt werde ich mit Deadwood nicht so wirklich warm, obwohl es (Achtung, Wortspiel!) inzwischen brüllend heiß ist. Auch wenn das Spektakel hier historische Wurzeln hat, ist der ganze Ort anscheinend auf die Abfertigung von Tagestouristengruppen ausgelegt, zumindest in den Shops und Restaurants entlang der historischen Mainstreet. Also los, wieder ins Auto und zum nächsten Ziel. Das ist der Devils Tower, und bis dahin muss ich wieder ein paar Meilen machen.
Unterwegs beschließe ich, wieder zu tanken, denn wer weiß schon, wo die nächste Tankstelle ist. Ich steuere also nach der Abfahrt von der Interstate eine Tankstelle in Sundance an und schaue mir an, welchen Sprit man hier bekommt. Hm, das E85, das in meinem Tankdeckel steht, ist hier nicht im Angebot. Das Zeug ist mir ja von Anfang an etwas obskur vorgekommen, aber nachdem die erste Tanke 85er-Sprit hatte, und ich trotz des fehlenden „E“s dort einfach mal forsch getankt hatte und mit dem Sprit auch bis hierher gekommen bin, hatte ich nicht weiter darüber nachgedacht. Hier hat man es wie gesagt nicht, weder was mit „E“, noch 85er, und die Frage ist: KANN ich mit dem Auto 85er tanken oder MUSS ich mit dem Auto 85er tanken. Ich bin ja eigentlich der Meinung, dass ein bisschen mehr Oktan nie schaden kann, frage aber sicherheitshalber doch mal in der Tankstelle nach, schließlich weiß ich ja auch immer noch nicht, wofür das „E“ eigentlich steht. Und dann nimmt das Drama seinen Lauf.
Die Dame in der Tankstelle will erst mal schauen, was ich mit diesem komischen E85 meine, von dem ich, die obskure Ausländerin, ständig fasele. Also geht sie mit mir raus, schaut in den Tankdeckel, legt die Stirn in Falten und erzählt mir dann, soviel sie wisse, sei E85 ein völlig anderer Sprit als z.B. 87er Regular, das sie hier im Angebot hätten, und wenn ich ihr Regular nehmen würde, würde ich riskieren, den Motor zu beschädigen.
Ich kann mir besseres vorstellen als mit einem Motorschaden in Sundance, Wyoming, zu stranden, also tanke ich erst mal überhaupt nichts, sondern mache mich auf die Suche nach dem Handbuch des Autos. Das soll zwar im Handschuhfach liegen, befindet sich aber definitiv nicht dort. Toll. Ich merke, dass ich gerade auf einen wütend-hysterischen Anfall zusteuere. Erst der Vorfall auf dem Hinflug, dann der Hagel, dann das Gewitter, dann die Sache mit dem Adapter, die halbschlaflose Nacht und jetzt das? Kann denn nicht einfach mal einen Tag lang alles glatt laufen?
In der Tankstelle packt die Dame hinter der Kasse wieder ihre Theorie vom drohenden Motorschaden aus, bietet mir aber an, bei einer anderen Tankstelle nachzufragen, von der sie vermutet, dass die das gesuchte E85 im Angebot hätten. Eigentlich kann ich mir ja nicht vorstellen, dass ich hier wirklich mit einem Sondermodell unterwegs sein sollte, das nur ausgesuchten Sprit frisst, aber gleichzeitig sehe ich vor meinem inneren Auge das Personal der Denver-Budget-Station, das auf meine wütende Beschwerde nur mild lächelt und mir erklärt, dass es das Zeug in Colorado überall gibt und ja niemand ahnen konnte, dass ich mit einem Compact Car überhaupt die Stadtgrenzen verlassen würde.
Ganz knapp vor einem hysterischen Anfall – ich habe gerade große Lust, Sachen aus dem Regal zu werfen und darauf herumzutrampeln - übernimmt dann zum Glück die jüngere Kollegin der Motorschaden-Lady das Kommando, googelt herum und ruft schließlich einen befreundeten Mechaniker an. Das Ergebnis: Natürlich kann ich normalen Sprit tanken, auch das hier angebotene 87er.
Ich bin echt erleichtert, tanke und spendiere der hilfreichen Kollegin noch ein großzügiges Trinkgeld. Immerhin weiß ich jetzt, dass ich mir um den Sprit keine Gedanken machen muss, also war der Vorfall hier dann doch für was gut. Und das hier war jetzt bestimmt der letzte Vorfall auf meiner Reise. Erstaunlicherweise glaube ich wirklich daran, und meine Stimmung bessert sich sofort deutlich.
Frohgemut fahre ich also weiter. Von Sundance aus führt eine Landstraße bis zum Devils Tower. Außer mir sind kaum Leute auf der Straße unterwegs, da werde ich den Devils Tower ja vermutlich für mich alleine haben. Als ich dann aber an „dem“ Devils Tower Fotomotiv am Trading Post ankomme, ist der Parkplatz gut gefüllt.
An der Einfahrt kaufe ich mir den Nationalpark-Jahrespass, auf dem dieses Jahr ein Eisbär abgebildet ist, was perfekt zu den gefühlten 50 Grad hier passt. Ich komme an den Prairie Dogs vorbei, aber die werde ich bei der Weiterfahrt in Ruhe besuchen und fahre erst mal hoch zum Devils Tower. Die Parkplätze sind gut gefüllt, aber zum Glück finde ich auf Anhieb ein Plätzchen für meinen Blauen, der das 87er übrigens problemlos verdaut. Der Devils Tower ist irgendwie kleiner als erwartet, oder zumindest sieht er kleiner aus. Aber die Runde um den Tower ist dann doch länger als erwartet. Hinter jeder Ecke bieten sich neue Blicke auf die Steinsäulen, und dann lugt sogar ein wenig Wildlife durch die Bäume, wie süß! Ab und zu sieht man Bäume, die mit Bändern und Tüchern geschmückt sind.
Der Devils Tower im Nordosten von Wyoming ist vulkanischen Ursprungs. Er entstand vor 40 Millionen Jahren vermutlich aus Magma, das im Gestein nach oben stieg, zum vulkanischen Gestein Phonolith abkühlte und dabei sechseckige Säulen bildete. Es ist umstritten, ob das Magma die Erdoberfläche erreichte und es sich bei dem Devils Tower um die Überreste eine aktiven Vulkans handelt oder ob das Magma bereits vor Erreichen der Oberfläche erkaltete. In der Folge wurde das umgebende weichere Sedimentgestein durch Erosion abgetragen. Heute ragt der Devils Tower etwa 265 Meter über das Umland hinaus und hat einen Durchmesser von fast 150 Metern.
Der Devils Tower gilt den Prärieindianern als Wohnsitz des Grizzlybären und als heiliger Ort. Zahlreiche Mythen ranken sich um den Berg. So sollen sieben Mädchen auf der Flucht vor einem Bären den Devils Tower erreicht haben und den Großen Geist um Hilfe gebeten haben. Dieser ließ den Turm steil in die Höhe wachsen, so dass der Bär den Mädchen nicht folgen konnte. Als die Mädchen den Himmel erreichten, verwandelten sie sich in die Sterne der Plejaden.
Den englischen Namen Devils Tower, Teufelsturm, erhielt der Berg aufgrund einer Fehlübersetzung seines indianischen Namens zu „Bad God's Tower“.Erst als ich den Berg fast komplett umrundet habe, sehe ich ein paar Kletterer im Berg. Mit den winzigen Menschen in den Felsen merkt man dann doch, wie groß der Tower ist.
Ich bewundere die Kletterer für ihren Mut und ihre Fitness. Ich bin schon von der Runde um den Tower ziemlich fertig und mir läuft der Schweiß in Strömen. Zurück im Auto hole ich erst mal eine Flasche Wasser aus dem Kofferraum und trinke in einem Zug einen halben Liter. So, jetzt geht’s mir besser, und auf den nächsten Spaziergang bei diesen Temperaturen werde ich dann doch lieber mal Wasser mitnehmen.
Bei den Prairie Dogs muss dann dann zum Glück nicht laufen. Wie ich an den anderen Autofahrern feststelle, muss man nicht mal das Auto ausschalten, geschweige denn, aus dem Auto aussteigen, um die süßen Tiere zu beobachten. Ich steige aber trotzdem aus, was eindeutig ein Fehler war, denn es fällt mir schwer, irgendwann wieder einzusteigen. Die sind ja so süß!
Aber es hilft nichts, bis nach Buffalo,wo ich heute übernachte, habe ich noch 2 Stunden 15 Minuten Fahrt vor mir und mache mich schließlich gegen vier Uhr auf den Weg. Zuerst geht es über Land zur Interstate, dann mit 80 Sachen auf der Interstate Richtung Westen. In Buffalo komme ich dann erst mal an den vielen Kettenmotels an der Durchgangsstraße vorbei und biege dann nach links ab und lande vor dem historischen Occidental Hotel. Hier ist es ja echt urig! Ich betrete die Lobby, einen großen Raum mit alten Möbeln und darf an der Rezeption meine persönlichen Angaben mit einem federgeschmückten Stift eintragen. Ich habe hier die Herbert Hoover Suite reserviert. Hoover, damals Präsident der USA, hat hier in den 1930ern übernachtet, in einem der Räume, aus denen jetzt meine Suite besteht. Ich bin echt begeistert. Und der Gegensatz zwischen dem echten historischen Hotel und dem auf alt getrimmten Deadwood könnte kaum größer sein.
Das Restaurant des Hotels hat heute zwar geschlossen, aber man kann im Saloon des Hotels etwas trinken und ein paar Kleinigkeiten essen. Ich hüpfe aber erst mal unter die Dusche, wo ich es leider nicht richtig schaffe, den Vorhang in die Wanne zu hängen, der ist aber auch mal komisch unter der Wanne verklemmt. Bei einem kurzen Spaziergang auf die andere Straßenseite entdecke ich noch ein paar nette Murals.
Dann esse ich im Saloon, und weil ich keine Lust habe, schon wieder einen Burger mit Pommes frites zu essen, suche ich mir drei Tapas aus, Quesadillas, Jalapenos und zur Abwechslung knackiges Gemüse mit Dip, damit mein Körper nicht verlernt, mit unfritierten Lebensmitteln zurechtzukommen. Ich bin schon vor dem Essen bester Stimmung, und durch die zwei Bier wird meine Stimmung auch nicht schlechter, und ich zeige begeistert der Bedienung aus Armenien die süßen Bambi-Bilder.
Während ich gegessen habe, hat auch das Laptop mit dem neuen Reiseadapter aufgetankt, und ich sichere noch die Bilder der letzten beiden Tage auf dem Laptop und der externen Festplatte und fange mit dem Reisebericht an, aber mir fallen bald die Augen zu. Ich habe das Gefühl, dass der Stress der letzten Tage von mir abfällt, und ich habe jetzt auch nur noch eine längere Fahretappe nach Cody vor mir, bevor ich übermorgen das erste mal im Yellowstone NP übernachte. Der Start in den Urlaub war ja wirklich etwas holprig gewesen, aber ab jetzt sollte doch alles glatt laufen.
Gute Nacht!