Freitag, 29.7.16Irgendwie muss ich meinen Körper ja für seine innere Uhr bewundern, denn exakt um 2.11 Uhr wache ich auf. Immerhin schlafe ich nochmal für eineinhalb Stunden ein, aber dann ist die Nacht vorbei. Passt andererseits doch ganz gut, denn so kann ich in Ruhe einige hundert Bilder von gestern löschen, die Akkus wieder aufladen, ein paar E-mails schreiben und den Koffer etwas umpacken. Der Sonnenbrand ist leider noch heftiger als befürchtet, und ich habe leichte Kopfschmerzen, vielleicht auch von der Sonne, dabei hatte ich doch gestern eigentlich das Gefühl gehabt, kaum in der Sonne gewesen zu sein. Heute wird’s dann mal die 50er Sonnencreme und ein T-Shirt mit engerem Halsausschnitt.
Um das kostenlose Pfannkuchenfrühstück in Downtown aufzusuchen bin ich heute zu faul. Ich frühstücke im Hotel und fahre dann wieder zum Festivalgelände. Eigentlich hatte ich mir gestern überlegt, mir irgendwo in den angrenzenden Straßen einen kostenlosen Parkplatz zu suchen statt wieder 20 Dollar auf dem offiziellen Parkplatz zu löhnen, aber dafür bin ich heute morgen auch zu faul. Ich habe Urlaub, da will ich nachher nicht noch kilometerweit durch die Straßen laufen, wenn ich einen Pullover oder eine Jacke aus dem Auto brauche.
Heute morgen mache ich erst mal ein paar Fotos rund um das Old West Museum. Der Himmel ist blau, die Sonne wärmt heute morgen schon ordentlich, und ich bin froh, dass ich die 50er-Sonnencreme aufgelegt habe.
Dann nehme ich an der „Behind the Chutes“-Tour teil und erfahre unter anderem, dass das erste Rodeo 1897 ausgetragen wurde, dass es nur aus einem Wettbewerb bestand, und dass der siegreiche Cowboy damals 25 Dollar erhielt, das siegreiche Pferd aber 100 Dollar. Im Rahmen der Tour, die von zwei berittenen Cowgirls angeführt wird, kommt man an den Koppeln der Tiere vorbei und darf auch in die Arena und bekommt auch ein paar anschauliche Erklärungen zu den Rodeo-Regeln.
Nach der Tour schaue ich beim Chuckwagon Cookout vorbei, das heute anscheinend als Wettbewerb stattfindet. Die meisten Teilnehmer haben sich historisch kostümiert, und an den vielen Feuerstellen kochen Kinder unter der Anleitung von Erwachsenen und sind ernst bei der Sache.
Im Indianerdorf sichere ich mir dann frühzeitig einen Platz im Schatten und schaue mir die Vorführung indianischer Tänze an. Die Erklärungen zu den Tänzen vergesse ich leider relativ schnell, das hätte ich mir direkt aufschreiben müssen, schade. Aber immerhin kann ich mir merken, dass einer der Tänze der „Chicken Dance“ ist.
Einen der letzten Auftritte bestreitet dann die Indianerin, die gestern schon über das Reifen-Tanzen berichtet hat. Jetzt stelle ich fest, dass das Hoop-Dancing gar keine Hoola-Hoop-Dancing ist, wie ich gestern dachte, sondern die Reifen regelrecht miteinander und mit dem Körper verflochten werden. Toll sieht das aus! Und die zweijährige Tochter ist auch schon mit vollem Einsatz dabei.
Um viertel nach zwölf finde ich mich dann wieder zum Rodeo ein. Zum Glück schiebt sich nach ein paar Minuten der Schatten des Daches über meine Sitzreihe, so dass ich mir entspannt das Spektakel anschauen kann. Heute kenne ich das ganze ja schon und kann viel mehr auf solche Dinge wie die Punktewertung oder die Herkunft der Teilnehmer achten. Die meisten kommen aus den USA, aber es sind auch ein paar Teilnehmer aus dem Ausland dabei. Leider fallen diejenigen, die am lautstärksten mit großem Getöse als Champions angekündigt werden, oft am schnellsten in den Dreck. Das ist ja echt besonders bitter.
Es zieht sich zu, und zwischendurch regnet es ein paar Tropfen, aber dann ziehen die Regenwolken weiter und die Sonne kommt wieder heraus. Nach dem Rodeo will ich mir die Old Frontier Town anschauen, eine Ansammlung von Souvenirgeschäften im Western-Style außerhalb des Festgeländes. Als ich dort ankomme, tröpfelt es aber wieder, und ich beschließe, meine Regenjacke aus dem Auto zu holen. Außerdem bin ich etwas beunruhigt, denn neben mir philosophieren ein Mann und eine Frau darüber, ob die Wolke da hinten nur eine bartförmige Wolke oder vielleicht doch ein Tornado ist. Huch, ein Tornado? Ich dachte, die gibt’s nur weiter östlich. Plötzlich wird mir klar, dass ich keine Ahnung habe, was ich denn hier im Falle eines Tornados tun müsste.
Auf den wenigen Metern zum Auto zucken dann auch schon Blitze über den Himmel, und ich beschließe, mich lieber mal für ein paar Minuten ins Auto zu setzen, bis das Gewitter vorübergezogen ist. Oder sollte ich gar nicht hier im Auto sitzen, falls die bartförmige Wolke doch ein Tornado ist? Ach, Quatsch, es regnet doch nur ein bisschen. Aus den paar Minuten wird dann eine gute halbe Stunde, denn plötzlich platschen nicht nur dicke Tropfen, sondern auch vereinzelte Hagelkörner von der Größe von Haselnüssen auf die Autodächer. Immerhin stellt sich die bartförmige Wolke doch „nur“ als Wolke heraus, es gibt keinen Tornado, und ich sitze sicher im Auto, aber trotzdem bekomme ich ein wenig Angst, als der Hagel heftiger wird. Die kleinen Eisklumpen knallen richtig laut auf die Scheiben und das Blech. Hm, wer bezahlt eigentlich einen Hagelschaden am Mietauto? Hoffentlich nicht ich! An den Autos um mich herum gehen die Alarmanlagen an, das ist richtig gespenstisch.
Schließlich wird es heller, und von einer Sekunde auf die andere scheint wieder die Sonne. Ich inspiziere kurz das Auto, kann aber zumindest im Moment keinen Schaden erkennen, Glück gehabt! (Anmerkung: Diesen Teil des Reiseberichts habe ich am folgenden Morgen geschrieben, BEVOR ich das Auto im trockenen Zustand wiedergesehen habe....)
Bis zum Konzert, das ich heute abend besuchen will, habe ich noch zweieinhalb Stunden Zeit. Eigentlich wollte ich im Old West Town irgendwas traditionelles Cook-outiges essen, aber zum Glück sehe ich, was andere Leute da in ihren Plastikschalen an die Tische transportieren. Das überzeugt mich dann doch nicht. Zurück auf dem Rodeo-Gelände hole ich mir eine Art Kebab mit Salat, das ist so ziemlich das Gesündeste, was ich in den letzten zwei Tagen gegessen habe. Danach inspiziere ich die Souvenirgeschäfte. Ein extravagantes Paar Stiefel hätte es mir ja angetan, aber 649 Dollar finde ich dann doch ein bisschen happig. Handtaschen mit Bibelsprüchen will ich auch nicht, wer kauft eigentlich sowas?
Ich bummele noch über den Kirmesplatz und genießen die fröhliche Stimmung. Zwischendurch werfen die weiteren Ereignisse des Abends schon mal ihre Schatten voraus (nein, ich werde nicht von Außerirdischen entführt):
Schließlich ist es halb acht, und weil alle Leute sich in langen Schlangen an den Gates anstellen, stelle ich mich auch mal an. Erst um kurz vor acht öffnen die Gates,und ich suche mir meinen Platz auf der C-Tribüne. Nach einer Viertelstunde geht es dann mit dem „Vorprogramm“ los, Aaron Watson. Der mischt Country mit Rock, so würde ich das mal laienhaft beschreiben, klingt gut und ist anscheinend ganz erfolgreich.
Er wird aber nicht müde, darauf hinzuweisen, dass er ja nur das Vorprogramm ist. Denn nach ihm kommt: KISS!
Jede Erwähnung von Kiss führt zu lautstarken Jubelstürmen in der Partyzone direkt vor der Bühne, und als Aaron Watson schließlich abtritt, die Bühne umgebaut wird und man im Hintergrund ein paar Golfwägelchen mit irgendwas Schwarz-Weißem erkennen kann, kocht die Stimmung über. Und dann fliegt der Vorhang hinunter, Nebenschwaden wabern von der Bühne, und da sind sie: KISS!
Tja, was soll ich sagen? Dafür, dass ich von Kiss bis vor zwei Wochen genau einen Song kannte und seit einer Woche genau 2 Songs kenne, finde ich es richtig klasse. Die Typen sind gut drauf und machen Stimmung. Und den ein oder anderen Song erkenne ich dann doch noch. Die Stimmung im Publikum ist richtig klasse, und ich lasse mich begeistert mitreißen.
Anscheinend gehören manche Sachen zwingend zu so einer Kiss-Show, z.B. auch, dass man sich als Fledermaus-Kiss irgendeine blutrote Pampe aus dem Mund laufen lässt, was etwas albern aussieht und dann leider auch zu ästhetischen Beeinträchtigungen des Make-Ups führt, aber was weiß ich schon?
Eins weiß ich mit Sicherheit nicht, nämlich wo die Grenze zwischen geduldetem Handy-Fotografieren und -Filmen und nicht mehr geduldetem Spiegelreflexkamera-600mm-Teleobjektiv-Fotografieren liegt. Das Konzert dauert gerade eine Stunde und ich versuche hingebungsvoll, den Katzen-Kiss-Drummer möglichst vorteilhaft formatfüllend abzulichten, da klopfen mir die Leute neben mir auf die Schulter. Ich schaue mich um, und sie zeigen auf zwei cowboybehütete Ordner, die mir winken und irgendwie gar nicht freundlich aussehen.
Ich habe schon so eine Ahnung, dass der Rest des Konzerts ohne mich stattfinden wird und packe mein Zeug komplett zusammen, bevor ich mich zu den Ordnern schiebe. Der Inhalt der sich jetzt entspinnenden Diskussion ist mir nach wie vor ziemlich unbekannt, denn die Diskussion findet vor der Kulisse eines Rockkonzerts statt, und über Urheberrechte unterhalte ich mich normalerweise nicht auf englisch. Mit meinem „I don't understand“ und dem Hinweis, dass ich doch nur ein paar Fotos mache, während ringsum wild gefilmt wird, komme ich nicht weit. Ich sehe offenbar eine Spur zu professionell aus, und als ich auf die Frage, ob ich ein Photographer Badge (?) hätte, schließlich nur noch mit einem „no“ antworten kann, werde ich von der Tribüne verwiesen. Na gut, ist jetzt auch nicht weiter tragisch, im Gegenteil finde ich es ziemlich lustig: Das muss man ja auch erst mal bringen, aus einem Kiss-Konzert geworfen zu werden. Als gesetzestreuer Mensch lösche ich die erbeuteten Fotos natürlich noch am selben Abend von der Speicherkarte. (Wer trotzdem ein paar Eindrücke bekommen möchte, kann auf Youtube eine reichhaltige Auswahl an Videos von diesem Konzert finden.)
Ein Vorteil des frühen Rausschmisses sind die mehr oder weniger leeren Wege und Straßen, und ich komme schließlich gegen halb elf müde aber zufrieden wieder am Hotel an. Morgen geht’s raus aufs Land, ab dann muss ich mich erst mal eine Weile selbst bespaßen.
Gute Nacht!