Samstag, 7.5.16
Wandertag 6: Von Saint-Cast bis Lancieux (geplant ca. 27 km, gelaufen ca. 18-20 km)Heute morgen bin ich in merkwürdiger Stimmung: Nachdem wir eine Woche gemeinsam verbracht haben und jeden Kilometer zusammen gelaufen sind, wird Elsa heute in Lancieux bleiben, einen Erholungstag einlegen, die Knie kurieren, in Ruhe Wäsche machen und den kleinen Strand von Lancieux besuchen. Ich werde also alleine wandern, und zwar eine sehr lange Etappe. Gestern und heute sind zusammengenommen ca. 48 km zu bewältigen, und weil wir gestern nur bis zum Golfplatz von Saint-Cast gekommen sind, muss ich heute etwa 27 km schaffen. Immerhin kann ich über die schmale Halbinsel von Saint-Jacut ein paar Kilometer abkürzen, falls ich unterwegs merke, dass ich den Weg nicht schaffen werde, und wie Elsa immer wieder betont, ist es bis nach neun Uhr hell, so dass ich mir Zeit lassen kann.
Nach einem gemeinsamen Frühstück verabschiedet Elsa mich gegen zehn nach acht, als das Taxi kommt, und ich mache mich mit einem leichten Kloß im Hals auf den Weg. Die Taxifahrerin erzählt, dass sie ab und zu Wanderer fährt. Ach, das ist ja interessant, denke ich, es gibt also auch andere Wanderer, die ihre Randonnée mit dem Taxi machen. Die meisten Wanderer, so meint jedenfalls die Taxifahrerin, würden aber in Gegenrichtung gehen und am Mont Saint Michel starten. Vielleicht liegt es daran, dass auch der französische Wanderführer diese Richtung vorsieht, überlege ich.
Was das Wetter betrifft, haben wir wirklich Glück, denn heute Nacht hat es zwar geregnet, aber heute morgen ist es wieder trocken. Vielleicht kann Elsa heute mittag sogar ihre Knie bei einem Sonnenband am Strand schonen. Ich lasse mich jedenfalls wieder zur Snackbar auf dem Golfplatz fahren, stakse dort wieder zum Trampelpfad zum Strand hinüber und setze den Weg fort. Der führt gleich mal schweißtreibend einen knackigen Anstieg hinauf, anschließend geht es am Hang entlang immer wieder rauf und runter. Es war die richtige Entscheidung, gestern nicht mehr weiter zu wandern, denn das hätte Elsas Knien sicher den Rest gegeben. Ich spüre heute die Blase am rechten Fußballen stärker als gestern, aber richtige Schmerzen sind es nicht und ich kann ohne Probleme laufen. Der Weg ist heute morgen gesäumt von Bäumen, aber man hat immer wieder schöne Blicke hinunter aufs Wasser.
Gegen 10 Uhr, nach eineinhalbstündiger Wanderung, habe ich den Campingplatz, zu dem wir gestern eigentlich wollten, immer noch nicht erreicht, dabei sollten es bis dahin vom Golfplatz aus nur 3,5 km sein. Ich hadere schon damit, dass ich heute morgen nur so langsam vorwärtskomme. Am nächsten Wegweiser stellt sich dann aber heraus, dass ich am Campingplatz schon vorbei bin, dabei hatte ich ihn gar nicht gesehen. Es war also auch in dieser Hinsicht gut, gestern nicht mehr weiterzugehen, denn wer weiß, wo wir gestern in unserer Verzweifelung noch gelandet wären. Ab hier sollen es bis Lancieux jedenfalls noch 20,7 km sein, das schaffe ich.
Ziemlich erleichtert wandere ich also weiter, erreiche die Brücke bei Le Guildo und biege dahinter auf die schmale Halbinsel von Saint-Jacut ab. Dort erreiche ich bald ein Burgruine, die Ruine des Chateau du Guildo, und statte ihr einen Besuch ab.
http://cotesdarmor.fr/citoyennete/la_culture/le_guildo.htmlSchade, dass Elsa nicht dabei ist, denke ich, schade für sie, aber auch schade für mich, denn ohne Elsa macht die Wanderung nur halb so viel Spaß. Trotzdem ist die Landschaft hier bezaubernd, viele Felder und Wiesen reichen bis dicht an die Küste, und eine Zeitlang wandere ich über einen Feldweg durch eine Wiese, in der rote Mohnblumen leuchten, während ich vor mir den Blick aufs Meer und ein paar vorgelagerte Inseln habe. Im weiteren Verlauf ist der Weg leider teilweise nicht gut ausgeschildert, und ich wandere durch ein paar Straßen, aber es ist ein netter Ort mit schönen Gärten, und außerdem kann ich bald wieder einem breiten Strand folgen, bevor der Weg sich erneut an der Steilküste entlang windet. Ich habe Saint-Jacut erreicht, einen hübschen Ort, der ringsum von Steilküsten und Stränden umgeben ist.
http://www.mairie-saintjacutdelamer.com/Ein besonders schönes Panorama eröffnet sich, als ich schließlich gegen ein Uhr die Spitze der Landzunge erreiche: Die tiefste Ebbe ist bald erreicht, und vor mir liegt breiten sich Sandbänke, kleine Felsen und bewaldete Inseln aus. Viele Leute sind dort unten mit Picknickkörben, Eimerchen und Schaufeln unterwegs und gehen hinüber zu den Inseln. Auf Schildern wird gewarnt, dass man kurz nach der tiefsten Ebbe wieder zurück auf dem Festland sein soll, um nicht vom Wasser überrascht zu werden.
Ich wandere weiter den Weg entlang und erreiche einen breiten Strand. Hier liegen Boote im Sand, vor mir erstreckt sich kilometerweit freigelegter Sand und flaches glitzerndes Wasser und gegenüber an der Küste ragt ein Kirchturm zwischen den Häusern hervor. Hm, das müsste der Kirchturm von Lancieux sein, den haben wir gestern noch gesehen. Und dann ist der Strand dort hinten wahrscheinlich der Strand von Lancieux. Da liegt jetzt vielleicht Elsa im Sand und sonnt sich.
http://www.mairie-saintjacutdelamer.com/pageplan.php (der Strand von Lancieux ist auf dem Plan ganz oben rechts, und ich stehe im Moment etwa auf gleicher Höhe auf der Halbinsel; gestartet bin ich heute morgen ganz oben links)
Ich bin plötzlich ganz aufgeregt: Kann ich vielleicht von hier aus den Weg über die Bucht wandern? Ich schaue in meinen Wanderführer. Von hier aus nach Lancieux sind es Luftlinie vielleicht 2 km, aber wenn ich die ganze Bucht umwandern würde, müsste ich noch ca. 10 km laufen. Hm, soll ich es versuchen und diese verlockende Abkürzung nehmen? Aber wenn da in der Mitte der Bucht ein Fluss fließt oder das Wasser doch tiefer wird, müsste ich wieder umkehren, und dann erst mal den Sand wieder von den nassen Füßen bekommen, bevor ich weiterwandern kann. Und bei so einer langen Etappe wie heute will ich nicht noch Extrakilometer gehen. Ich frage also lieber mal ein paar Leute, dich ich am Strand sehe. Der erste ist nur zum Kite-Surfen hergekommen und kennt sich nicht aus, aber der zweite ist von hier und bestätigt mir, dass ich zu Fuß nach Lancieux gehen kann. Ich greife also zum Handy und informiere Elsa, dass ich jetzt übers Wasser wandeln werde, packe die Schuhe in den Rucksack, krempele die Hosenbeine hoch und mache mich auf den Weg. Zum Glück fällt das Wasser noch, ich muss mir also keine Sorgen machen, dass die Flut mich mitten in der Bucht überraschen wird.
Nach den Wandertagen mal mit nackten Füßen über den nassen Sand zu gehen ist fast wie eine Massage. Der Sandboden ist nicht eben, sondern besteht aus kleineren und größeren Rippeln und drückt fest gegen die Fußsohlen. Das Wasser reicht mir ab und zu bis über die Knöchel, wird aber zum Glück nicht tiefer. In der Mitte der Bucht ist außer mir niemand unterwegs, aber bald erreiche ich schon die Fußfischer, die vom gegenüberliegenden Ufer aufgebrochen sind. Weil ich in einem weiten Bogen gehe, ist der Weg zwar doch etwas länger als gedacht, aber gegen zwei Uhr erreiche ich schließlich schon den Strand von Lancieux und finde bald Elsa, die sich ein wenig sonnt.
http://www.lancieuxtourisme.fr/en/decouvrir/plages/st-sieuKlasse, so habe ich auch noch einen halben Erholungstag, und dass ich ein so großes Stück abkürzen konnte, macht mir kein schlechtes Gewissen, denn schließlich bin ich die ganze Zeit an der Küste entlanggewandert.
Jetzt habe ich aber erst mal Hunger und Durst, und in einem kleinen Lokal direkt am Strand gönne ich mir einen Burger mit Pommes frites, während Elsa heute mal einen Salat nimmt. Sie hat heute vormittag die Zeit genutzt und sich auf dem kleinen Markt an der Kirche an einem Wühltisch mit neuem Schmuck eingedeckt: 2 Euro pro Kette, aber dafür musste sie die Ketten noch aus einem Riesenkettenknäul befreien und dabei noch ihre Ketten gegen andere Käuferinnen sichern. Stolz präsentiert sie ihre Beute.
Während wir essen, stellen wir fest, dass wir inzwischen doch einen gewissen Zustand der Verlotterung erreicht haben: Die Schuhe haben wir gar nicht erst wieder angezogen, sondern sitzen mit nackten Füßen im Lokal, und das Brotkörbchen, das nicht mehr auf den Tisch gepasst hat, haben wir neben uns ins Gras gestellt, gleich neben Elsas Schuhe.
Nach dem Mittagessen schlendern wir noch einmal über den kleinen Markt. Ich bin ein wenig angefixt von Elsas Kettenkäufen, aber wie ist feststelle, hat sie schon die besten Stücke weggeschnappt. Heute abend gehen wir dann wieder in die Crêperie essen, und weil es uns gestern so gut geschmeckt hat, essen wir nochmal die gleichen Galettes. Danach spazierere ich noch einmal hinunter an den Strand. Jetzt ist höchste Flut, die Wellen klatschen an den Strand, und ich kann mir kaum vorstellen, dass ich vor sechs Stunden hier noch quer über die Bucht gewandert bin. Elsa begleitet mich nicht, sie schont lieber ihre Knie. Sie hat entschieden, es morgen wieder mit dem Weg zu probieren, auch wenn sie noch nicht weiß, ob die Knie trotz Schontag, Voltarengel und Tabletten durchhalten werden. Aber morgen werden wir Dinard erreichen, und von dort aus bis zum Hotel in Saint-Malo sind es übermorgen nur 5 km, so dass ein weiterer Erholungstag in Sicht ist.
Wir werden sehen, wie es weiter klappt.
Gute Nacht!