Samstag, 30. April 2016
Prologtag 1: Anreise nach BeauvoirLos geht’s! Wir starten früh, und zwar mit Elsas Auto. Das soll uns in die Bretagne bringen und uns dort einen Plan B in Form einer Auto-Rundreise ermöglichen, falls wir nach zwei Stunden Wandern plötzlich feststellen, dass wir uns das ganze doch irgendwie anders vorgestellt haben. Alternativ könnte man mit dem Zug über Paris auch direkt nach Saint-Brieuc fahren und vom Mont Saint Michel mit Bus und Zug über Rennes und Paris wieder nach Hause.
Wir fahren heute aber erst mal mit dem Auto nach Beauvoir, etwa 3 – 4 km vom Mont Saint Michel entfernt. Heute ist Samstag, aber keine Ferienzeit. Wir kommen gut voran. Ursprünglich wollten wir uns um Paris herumarbeiten, aber die Alternative ab Reims Richtung Norden und durch die Normandie hat uns dann kurzfristig noch überzeugt.
Das Wetter ist bescheiden, aber das trübt unsere Vorfreude nicht. Wir picknicken unterwegs im Nieselregen und diskutieren natürlich ein wenig über unsere Ausrüstung.
Ich gebe an dieser Stelle zu, dass ich für diesen Urlaub nicht nur wie üblich eine Packliste erstellt habe, sondern eine Excel-Datei, die jedes Stück in meinem Rucksack nebst Gewicht und Anzahl beinhaltet. Diese Datei hat mir einen Blick in eine mir bisher unbekannte Welt eröffnet. Erst durch die Vorbereitung dieser Tour ist mir beispielsweise bewusst geworden, dass eine Zahnbürste 15 Gramm wiegt. Zumindest in unbehandeltem Zustand. Es soll durchaus Wanderer geben, die das Gewicht deutlich unter 10 Gramm drücken, indem sie den Griff absägen. Eine Packung Tempotaschentücher wiegt 26 Gramm. Ich habe mir den Luxus gegönnt, gleich drei Packungen mitzunehmen. Mit mehr Gewicht schlagen Handy, Kindle und Fotoapparat zu Buche – 115 Gramm, 210 Gramm und 120 Gramm, wobei der Akku nicht eingerechnet ist, sondern weitere 25 Gramm wiegt. Und die neue Tube Voltarengel wiegt auch noch stolze 70 Gramm. So summiert sich alles fröhlich auf, bis zum Schluss 7 kg erreicht sind, inklusive Rucksack (1650 Gramm). Dazu kommt dann noch das Wasser (2 Liter, also 2 kg), so dass ich jeden Morgen mit 9 kg Gewicht auf dem Rücken in den Wandertag starten werde.
Je weiter wir nach Westen fahren, desto besser wird das Wetter. Plötzlich gibt es ein wenig Blau am Himmel, dann verwandeln sich die grauen Regenwolken in weiße Wattewölkchen und die Sonne scheint immer öfter durch die Wolkenlücken. Gerade als wir überlegen, dass wir eigentlich viel zu früh am Hotel ankommen, weil wir erst ab 17.00 Uhr einchecken können, und ob wir vielleicht noch Dol de Bretagne besuchen sollten, finden sich am Rand der Autobahn wie von Zauberhand Hinweisschilder auf die sogenannte Alabasterküste. Ach, so nah kommen wir hier vorbei? Das hatte ich wegen meiner Fixierung auf die Paris-Route gar nicht auf dem Schirm. Zum Glück hat Elsa noch eine ADAC-Übersichtskarte dabei, und nach einem kurzen Stopp an einer Autobahnraststätte heißt unser nächstes Ziel Étretat.
Der Weg bis dahin zieht sich ein wenig mehr als gedacht, aber irgendwann ist der Ort erreicht. Wir biegen erst mal vor dem Ortszentrum nach links ab und fahren an großen Parkplätzen vorbei, aber die Straße führt uns wieder weg, also drehen wir und fahren einfach mal frech in das kleine Ortszentrum. Ein wenig kreisen wir über einen Mini-Parkplatz, aber dann haben wir Glück: Eine Parklücke wird frei, und von anderen netten Menschen bekommen wir ein noch gültiges Parkticket geschenkt. Perfekt.
Also raus aus dem Auto und nach vorne an die Strandpromenade. Der Himmel ist jetzt strahlend blau, und links und rechts leuchten die „Alabasterfelsen“ in der Sonne, und unten glänzt das türkisfarbene Meer. Aus Alabaster sind die Felsen natürlich nicht, sondern aus Kreide. Die Franzosen haben schon ein Händchen dafür, ihren Küsten wohlklingende Namen zu geben. Wir sind jedenfalls begeistert. So hatten wir uns den Anreisetag nicht vorgestellt.
Sehr viel Zeit haben wir zwar nicht, aber es reicht, um mit vielen anderen Menschen die Kreidefelsen zu unserer Linken zu erklimmen.
Anschließend finden wir noch einen freien Tisch an der Strandpromenade und freuen uns, dass wir schon am ersten Urlaubstag draußen sitzen können. Nach dem schlechten Wetter und der Kälte der letzten Wochen genießen wir richtig die Sonne.
Schließlich fahren wir weiter, zurück über die Dörfer und dann Richtung Le Havre. Kurz danach taucht vor uns schon die eindrucksvolle Pont de Normandie auf, die die Seine-Mündung überspannt. Der Fotoapparat ist leider gerade nicht griffbereit, aber wir nehmen uns vor, auf dem Rückweg hier zu halten oder wenigsten während der Fahrt ein paar Schnappschüsse zu machen.
Gegen halb sieben dann taucht plötzlich vor uns unvermittelt die Silhouette eines Berges auf: Wir sind am Mont Saint Michel angekommen. So ein Mist, ich wollte mir doch zu Beginn des Urlaubs nach Möglichkeit den Blick darauf verkneifen, schließlich ist er erst das Ziel unserer Wanderung. Aber nachdem wir ihn einmal gesehen haben, taucht er unübersehbar immer wieder vor uns auf. Wir erreichen schließlich Beauvoir, wo wir im Gästehaus „Les Vielles Digues“ zwei Zimmer reserviert haben. Der Gastgeber quartiert uns erst mal ein:
Später kommt dann die Gastgeberin dazu, ein Ausbund an echter Herzlichkeit. Wir haben viele Fragen, z.B. wo wir abends gut essen können (ganz wichtig). Noch wichtiger ist aber, wo der Parkplatz ist, auf dem wir die nächsten Tage das Auto abstellen können, denn es soll hier auf uns warten. Und am wichtigsten: Wo fährt morgen früh der Bus nach Rennes ab? Wir bekommen unsere Auskünfte, und praktischerweise liegen das Restaurant (La Fermette), der große Schotterparkplatz und die Haltestelle alle im direkten Umkreis der wahrscheinlich einzigen Kreuzung des Ortes. Wir kundschaften erst mal alles aus, dann gehen wir essen, stoßen mit einem Kir Normand auf den ersten Urlaubstag an und essen Fischsuppe und Pfeffersteak bzw. einen Salat mit Lachs und Lammkeule. Als wir gegen viertel nach neun wieder zurück zur Unterkunft gehen, geht auch gerade die Sonne unter.
Als ich abends im Bett liege, bin ich sehr aufgeregt. Gewandert wird zwar erst ab übermorgen, und morgen steht erst einmal eine Stadtbesichtigung in Rennes an, bevor wir nach Saint-Brieuc weiterfahren. Aber das Auto bleibt hier, und morgen früh muss alles, was wir nicht auf die Wanderung mitnehmen in den Kofferraum, und dann gibt es nur noch uns und unsere Rucksäcke. Werden wir alles nötige dabei haben? Und sind wir überhaupt fit genug für die Wanderung? Vor ein paar Tagen haben meine monatelang entzündeten Achillessehen sich wieder mit leichtem Zwicken gemeldet, und Elsa hatte schon mehrfach Knieprobleme. Wird das, was wir uns vorgenommen haben, klappen?
Gute Nacht!