Am nächste Morgen erwartet mich am Frühstücksbuffet erst einmal ein lange Schlange Chinesen. Das Serviceteam besteht aus drei rotbeschützten Frauen. Sie wirbeln in einer kleinen Küche unablässig Spüllappen und Handtuch, tauschen leere Büffetplatten durch volle aus und begrüßen dabei jeden Gast freundlich lächelnd und dreistimmig mit einer japanischen Litanei, die ich leider nicht verstehe. Die chinesische Reisegruppe aus vierzig Personen geht das Schlangestehen gemütlich an. Es dauert eine Viertelstunde, bis ich zu einer Schale Reis, eingelegtem Gemüse und einer Misosuppe komme. Einen Minipappbecher Kaffee und grünen Tee muss ich mir aus einem Automaten ziehen. An den Tischen zählt jeder Milimeter. Es ist hier einfach zu voll, damit jeder genügend Platz hätte. Muse kommt da nicht auf und so beeile ich mich mit dem Frühstück, um aus dem Gewühl zu entkommen.
Um halb neun beginnt das Gruppenprogramm und wir traben bei Sonnenschein und böigen Wind hinauf zur Kanazawaburg.
Blick auf Kanazawa vom Burghügel aus
Erbaut wurde die Burg ab 1546 durch Maeda Toshiie, mehrfach niedergebrannt und jedes Mal wieder aufgebaut. Die heutige Burg wurde 2001 erneut aufgebaut und 2015 der Öffentlichkeit übergeben. Der Wiederaufbau der jetzigen Burg folgte der Idee alte Techniken nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und Handwerkern von heute die Möglichkeiten zu geben alte Techniken zu erlernen, zu praktizieren und weiterzugeben. Das Innere der Burg besteht komplett aus Ulmen-, Kiefer- und Zedernholz. Hier kann man erkennen, auf welch hohem Niveau die Baumeister und Zimmerleute alter Zeiten ihr Handwerk ausübten. Die tragenden Säulen sind nicht quadratisch sondern rautenförmig zugeschnitten, um Erdbeben auszubalancieren. Zum Aufbau der gesamten Holzkonstruktion wurde kein einziger Nagel verwendet. An kleinen Modellen kann man ausprobieren, ob man die Kunst des Zusammensetzens einer tragenden Balkenkonstruktion genauso beherrscht wie die alten Baumeister. Die hellen, in warmen Farben schimmernden Holzböden dürfen nur mit Socken betreten werden. Und weil sie so schonend mit Socken »gebohnert« werden, glänzen sie, als befänden sie sich in einem Ballsaal.
Als wir durch die massiven Tore der Burg wieder hinausgehen, kommen, aufgezogen wie an einer Perlenschnur, die ersten Schulklassen, um die Burg zu besichtigen.
Wir gehen weiter zum Kenrokuen Garden, dort wo die oft fotografierte, spinnenbeinige Steinlaterne steht, vor der sich fast jeder fotografieren lassen will. Ich versuche sie ohne Personen abzulichten und es gelingt mir auch.
Leider sind die Voraussetzungen zum Fotografieren alles andere als ideal. Es ist elf Uhr morgens und die Sonne gleist von einem wolkenlosen Himmel. Ich kann nur hoffen, dass ich die tiefen Schatten und ausgefressenen Lichter, die dieses Licht auf Bildern nach sich zieht, durch Bearbeitung auffangen kann.
Gleich neben der Laterne blühen grade die Sumpfiris an einem kleinen Bachlauf und weiter drüben sind die eigentlichen Attraktionen des Gartens zu finden, die uralten Baumgreise des Gartens, die alle wie riesige Bonsai wirken. Auch sonst bietet der Garten wunderschöne Aussichten.
Ich wäre gerne länger in dieser wunderbaren Anlage geblieben, aber nach neunzig Minuten trifft sich die Gruppe wieder. Dann geht es weiter in ein Nudelrestaurant zum Mittagessen. Die Bedienung ist sehr bodenständig und ruft jede Bestellung lautstark in die Küche, packt beim Zusammenrichten der Suppentabletts für jede Bestellung selber mit an und schafft es dabei noch jedem Gast Wasser nachzuschenken. Als letzte bekomme ich meine Tempura mit Udonnudeln und halte die ganze Truppe auf, weil ich heißes Essen erst in lauwarmen Zustand herunter kriege.
Als wir vor die Tür treten, ist es sehr warm geworden, zu warm für mein Empfinden. Trotzdem machen wir uns auf den Weg zum Goldmuseum. Unterwegs bleibt einer unsere Truppe vor einem kleinen Ausstellungsfenster stehen, weil dort eine schwarze Teeschale zu sehen ist. Genauso hat er sich sein Mitbringsel aus Japan vorgestellt. Er verschwindet deshalb schnell mal im Geschäft, greift sich die Teeschale aus dem Schaufenster und stellt sie dem verblüfften Verkäufer auf die Theke. Da mein Mitreisender ein wenig Japanisch spricht, fragt er nach dem Preis und der Verkäufer antwortet ihm. Wir sehen nur, dass die Teeschale ganz vorsichtig und wie ein rohes Ei an ihren Platz im Schaufenster getragen wird. Mit einem Preis von über 100 000 Yen (etwa 745 Euro) wäre das dann ein etwas teureres Souvenir geworden. Bleibt zu erwähnen, dass in Kyoto doch noch eine bezahlbare Teeschale in passender Farbe auf unseren Mitreisenden wartete.
Unterwegs fallen uns noch die völlig anderen Dimensionen der japanischen Feuerwehr auf. Wo ein Europäer an ein brauchbares Wohnmobil denkt, sehen die Japaner noch ganz andere Möglichkeiten.
Der Weg führt weiter durch die Mittagshitze, über die Brücke in eine andere Gegend der Stadt. Im Goldmuseum angekommen, empfängt uns angenehme Kühle. Da Kanazawa noch heute als Blattgoldstadt bekannt ist, wird hier in einem Film erklärt wie Blattgold in Japan hergestellt wurde. Als es dunkel wird und der Film beginnt, lege ich in der hintersten Reihe die Beine hoch und genieße die von der Klimaanlage heruntergekühlte Luft. Leider währt das Vergnügen nicht lange und schon geht es in die Besichtigungsräume, die ich trotz meiner schmerzenden Beine sehr anschaulich gestaltet finde.
Der nächste Programmpunkt ist ein noch erhaltenes Geishahaus im Higshasi Kuruwa, dem Amüsierviertel der Edozeit. Eine Filmcrew filmt hier anscheinend Impressionen und ein Fotograf dirigiert ein Pärchen, das wunderschöne alte Kleidung trägt, vor eine Holzhauswand und versucht es zu fotografieren. Doch dann rennt er seinen aufgespannten Schirmen, die wohl als Requisten dienen sollen, nach, denn der Wind, der nun immer heftiger wird, hat sie fortgeblasen.
Kimono für die Dame, Hamaka für den Herrn
Das zweistöckige Häuschen der Geishas ist zwischen anderen eingezwängt und es ist wenig Platz im Inneren. Man muss den Rucksack einschließen und darf nur mit einem kleinen Fotoapparat Aufnahmen machen.
Ein Innenbalkon des Geishashauses mit Blick in den Innenhof
Der Garten im Innenhof
Brunnen und Küche
Ganz hinten an der Falltür ein Geheimzugang für Samurai, denen der Besuch des Geishaviertels offiziell verboten war.
Bitteum eine Spende, wem es gefallen hat
Das war der letzte Programmpunkt für diesen Tag. Anscheinend haben viele Lust zum Einkaufen und verschwinden in den kleinen Geschäften der Straße, die sicher manches Schnäppchen zu bieten haben.
Der Kabelsalat im Geishaviertel
Doch ich mache mich auf den Heimweg, denn die Hitze macht mir zunehmend zu schaffen. Kurz vor Ankunft im Hotel legt der Wind so zu, dass ich bei manchen Böen stehen bleiben muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich rette mich in die überdachten Straßen des Fischmarktes, wo ich mir für meinen Abendessen etwas Sushi und einen Salat kaufe. Endlich im Hotel angekommen, bin ich so müde, dass ich meinen Plan, die Straße mit den Samuraivillen am Abend zu fotografieren, fallen lasse. Außerdem ist es draußen so windig, dass kein Stativ erschütterungsfrei stehen bleiben würde. Im Fernsehen läuft ein Sumoturnier.
Das Station mit dem Sumoring, der aus gestampftem Lehm besteht. Über dem Sumoring schwebt ein Dach, das einen Schrein darstellen soll.
Sumo ist eine Sportart, die ursprünglich zur Unterhaltung der Götter gedacht war.
Der Ring
Die Ringer begrüßen sich und Helfer reinigen den Ring von Reiskörnern, die vorher von den Ringern als Geste an die Götter geworfen wurden.
Der Schiedsrichter gibt das Zeichen zum Kampf
Ich gucke eine Weile zu, verspeise mein Sushi samt Salat und krieche um acht Uhr ins Bett. Erst morgens um Sechs wache ich durch den Weckruf, den ich an der Rezeption des Hotels bestellt habe, wieder auf.