Und ich war im Gegensatz zu Dir vor Ort.
Natürlich.
Aber jetzt mal Butter bei die Fische: die Plakete sind uns doch beiden egal. Das ist "Beiwerk".
Wenn es egal ist warum diskutieren wir dann darüber? Als Demonstrant versuchst Du Dein zentrales Anliegen auf Dein Plakat zu schreiben. Man bekommt also einen Eindruck worum es den Leuten geht, wenn man die Plakate anguckt. Und ich denke wir haben beide eine sehr unterschiedliche Vorstellung davon, was die Motive hinter den Demonstrationen sind.
Aber ich kenne Dich gut genug und ich weiß ganz genau, dass Du ganz sicher ebenso genau weißt wie ich, worum es bei diesen Demos geht: Trump abzusetzen und nicht als Präsidenten anzuerkennen.
Das denke ich eben nicht.
Mal wieder konkrete Erfahrungen vor Ort: ich war unter anderem mit zwei lesbischen Pärchen auf der Demo. Die einen haben gerade in einer schnell geplanten Hochzeit geheiratet, da sie sich nicht sicher waren, ob das unter einem Präsidenten Trump noch lange möglich ist. Die anderen machen sich Sorgen weil das Kind der einen von der anderen adoptiert werden soll, damit sie beide das Kind als gleichberechtigte Eltern grossziehen können. Auch da gibt es jetzt Fragezeichen. Zwei der Frauen sind auch in der Politik aktiv und hatten sich von der ersten weiblichen Präsidentin einen Schub in Richtung von voller Gleichberechtigung versprochen und sind jetzt entsprechend frustriert, weil das genaue Gegenteil eingetreten ist. Das sind ihre Hauptsorgen und die haben sie auf ihren Schildern auch so formuliert. Und viele andere Schilder gingen auch in die Richtung. Viele Eltern mit Kindern hatten Schilder dabei, die sich gegen die geplanten Schritte in Richtung von Privatisierung der Schulen wenden. Es gab Schilder in Spanisch gegen die Mauer (wenn ich das mit meinem Schullatein richtig übersetzt habe). Dir hätten vielleicht die "Engineers against Trump" gefallen, die einige Parolen zum Klimawandel und zur Wissenschaftsferne der neuen Regierung hatten. etc usw. Natürlich gab es auch Schilder, die sich über Trump lustig machten (da bietet er ja genug Angriffsfläche) und ich erinnere auch ein "Impeach Trump"-Schild, aber in der grossen Masse waren es konkrete Sachthemen, die die Leute offenbar bewegten, und nicht einfach nur stumpf "No to Trump".
Aber aus demokratischer Sicht hat man den zu akzeptieren und der Versuch, da irgendetwas anderes hinein zu interpretieren als der unbedingte Wille, Trump nicht anzuerkennen, greift bei bei mir nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Du da an irgendetwas anderes glaubst. Es geht um alles, es geht um Trump.
Was Du glaubst, was ich glaube, ist natürlich Dir überlassen, aber ich bin mir dagegen sicher, dass die überwiegende Mehrheit der Leute gestern das genauso sieht wie ich, nämlich das die USA die nächsten vier Jahre Trump irgendwie überstehen muß. Ich hab mich im Gegenteil gewundert, dass die Sache mit dem Electoral College keine großere Rolle gespielt hat. Nein, Deine Einschätzung, dass Trump ein Arschloch ist, hat sicher viele Anhänger, aber auch die wissen, dass er jetzt leider Präsident ist. Vielleicht stellt er sich ja irgendwie noch selber ein Bein, aber die Alternative dass ihm sein Vize als Präsident nachfolgt ist, ist ja fast noch besorgniserregender.
Da brauchen wir sicher nicht zu diskutieren, dass eine "Revolution" so ziemlich das diametrale Gegenteil einer demokratischen Wahl darstellt. Wie gesagt: mir geht es nicht um Trump, mir geht es um die Demokratie. Wenn es möglich ist, im Nachhinein eine Wahl mit undemokratischen Mitteln (Revolution) außer Kraft zu setzen, dann ist das das Ende der Demokratie. Das ist dann Bürgerkrieg und Lynchjustiz. Wo sind die Grenzen, wer legt fest, wann so eine Revolution gerechtfertigt ist?
Ich finde es ehrlich ziemlich furchtbar, was sich da gerade absplelt. In Anbetracht der schlechten Wahlbeteiligung ist das unfassbar - man wählt nicht, man setzt seinen Willen mit Gewalt durch.
Aus der Tatsache, dass Madonna von einer "Revolution der Liebe" faselt, jetzt zu schliessen, dass es den Leuten um einen gewaltsamen Umsturz geht, ist aber schon ziemlich weit hergeholt.
Ich war gestern von vielen Leuten jeden Alters, Familien mit Kindern, also ganz normalen Leuten umgeben, die komplett friedlich und ohne Zwischenfälle ihre Meinung kundgetan haben. Wer das als Gefahr für die Demokratie sieht, der hat aber ein sehr anderes Verständnis von selbiger als ich.
Bei Dir klingt das ja so als ob der schwarze Block marschiert und mit Mollis in den Strassenkampf gezogen ist.
Ich weiß, dass Du persönliche Erfahrungen wie die meine immer schnell als Einzelfälle abtust, wenn sie Dir nicht in den Kram passen, daher googel doch einfach mal die Polizeiberichte der Demonstrationen. In Portland drehten sich die Polizeieinsätze auf der Demonstration darum ältere Demonstranten, die bei dem kalten Schietwetter Schwächeanfälle erlitten hatten, abzutransportieren, den Verkehr zu regeln und ein Kind hatte seine Eltern im Gewühl komplett verloren. Vielleicht gibt das Dir einen Eindruck von der Art und Zusammensetzung der Demonstration und der Gefahr, dass es in der Folge zu antidemokratischen Revolutionen, Bürgerkrieg und Lynchjustiz kommt.